Vor 19 Jah­ren kam der Chef des Wochen­end­ma­ga­zins der Ber­li­ner Zei­tung zu uns ins Büro. Er rauch­te einen Ziga­ril­lo (ja, das war noch erlaubt) und sag­te: „Ihr schreibt jetzt eine Kolum­ne. Jede Woche. Wenn sie nichts taugt, fliegt ihr wie­der raus.“ Wir waren jung. Wir hat­ten Schiss. Wir haben nicht wider­spro­chen. So wur­den wir Kolumnisten. 

Maxims Toch­ter Nad­ja war gera­de gebo­ren. Sei­ne ers­te Kolum­ne han­del­te davon, wie er als Vater äußer­lich ver­wahr­los­te. Jochen war Sin­gle, frisch getrennt, sehr melan­cho­lisch und schrieb über sei­nen Kak­tus, das ein­zi­ge Wesen, das ihm die Treue hielt. Neun­zehn Jah­re sind eine sehr lan­ge Zeit im Kolum­nis­ten-Busi­ness. Um die his­to­ri­sche Dimen­si­on zu erah­nen: Ange­la Mer­kel war damals nicht Bundeskanzlerin. 

Jetzt sit­zen wir wie­der zusam­men, die Ber­li­ner Zei­tung ist längst weg­ge­zo­gen vom Alex­an­der­platz, und uns feh­len ein biss­chen die Wor­te. Denn das ist unse­re letz­te Kolum­ne. Jochens Mut­ter hat noch vor ein paar Tagen ver­zwei­felt am Tele­fon gesagt, wir dürf­ten nie­mals auf­hö­ren. Tut uns leid, Mutti.

Wir kön­nen es ja selbst kaum glau­ben. Die Kolum­ne ist für uns längst zum Lebens­be­glei­ter gewor­den. Eine ewi­ge Selbst­the­ra­pie, die dabei half, das sen­si­ble Män­ner-Ich zu begrei­fen, sich zu erin­nern, und vor allem: Sich nicht zu ernst zu neh­men. Das war uns immer wich­tig: Dass die Kolum­ne stets von einer gewis­sen Hei­ter­keit durch­weht ist, auch bei den tra­gi­schen Din­gen des Daseins. Humor als Lebens­hil­fe sozusagen.

Ein Kolum­nist ist ein selt­sa­mer Mensch, er beob­ach­tet die ande­ren und sich selbst, immer auf der Suche nach Mate­ri­al. Es gab Zei­ten, in denen Maxims Töch­ter kaum noch mit ihm spra­chen, weil er über ihre ers­ten Schmink­ver­su­che und Zun­gen­küs­se schrieb. Und ein sehr, sehr oft gespro­che­ner Satz in unse­rem Freun­des- und Bekann­ten­kreis lau­te­te: „Aber das kommt nicht in die Kolumne!“

Die Kolum­ne war immer da. Reis­te immer mit. In den Urlaub, auf Lese­rei­sen, in Kran­ken­häu­ser, Fuß­bal­ler-Umklei­de­ka­bi­nen, Kin­der­zim­mer, Schlaf­zim­mer, auf Fami­li­en­fes­te. Wir schrie­ben aus Kabul, New York, Bra­si­li­en, Frank­reich, Boli­vi­en, Kam­bo­dscha und einem Hau­fen ande­rer Län­der. Eine Wei­le schrieb Jochen sogar unter dem Namen „Maxim Leo“. Aus arbeits­recht­li­chen Grün­den. Für die Leser waren wir irgend­wann sowie kom­plett ver­schmol­zen. Nicht sel­ten erreich­ten die Redak­ti­on Leser­brie­fe an den „Herrn Leo Gutsch“.

Wir haben ver­sucht, uns vor nichts zu drü­cken. Denn ein Kolum­nist darf alles. Aber er muss eben auch alles. Sonst wird die Kolum­ne fad. Maxim schrieb detail­liert über Besu­che beim Uro­lo­gen, Jochen über den Mor­gen­kreis in der Depres­si­ons-Kli­nik. Die größ­ten Intim­sphä­ren-Opfer der Kolum­ne waren immer wir selbst. Ein Leser schrieb dazu: „Dan­ke, dass Sie sich für uns nackt machen.“

Dass es nun vor­bei ist, zer­reißt uns fast das Herz. Und wir füh­len: eine selt­sa­me Lee­re. Viel­leicht ist es in der Bezie­hung mit einer Zei­tung wie in einer lan­gen Ehe: Manch­mal wird man sich fremd. Und dann muss man gehen. Wir haben die Ber­li­ner Zei­tung immer sehr geliebt. Sie war unse­re jour­na­lis­ti­sche Hei­mat. Und des­halb möch­ten wir uns bedan­ken, bei den Kol­le­gen, die uns in all den Jah­ren beglei­tet haben: Tho­mas Lein­kauf, Jochen Arntz, Regi­ne Syl­ves­ter, Bet­ti­na Cosack, Petra Ahne, Chris­ti­an Seidl und Anja Reich. 

Wir dan­ken natür­lich auch unse­ren Frau­en, Töch­tern und Kat­zen, die uns – wenn auch unfrei­wil­lig – stets mit Kolum­nen­stoff ver­sorg­ten. Vor allem aber möch­ten wir unse­ren Lesern dan­ken, für eine Treue, die uns oft rühr­te. Eines der schöns­ten Kom­pli­men­te kam von einem Paar, das uns nach einer Lesung erzähl­te, sie läsen sich die Kolum­ne seit Jah­ren jeden Sams­tag­mor­gen im Bett vor. Sie, lie­be Lese­rin­nen, lie­be Leser, wer­den uns am aller­meis­ten feh­len. Es war uns eine gro­ße Ehre. 

Und es war die schöns­te Zeit. 

7.7.2020 – Maxim Leo und Jochen Gutsch