Vor ein paar Tagen stand ich im Stau. Es war ein heißer Tag, das sollte ich erwähnen. Hinten im Auto saß die Katze im Katzenkorb. Sie hasst Autofahren, aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden. Sie maunzte ununterbrochen, im Autoradio sagten sie: Die Straßen werden blockiert von Klimaaktivisten. Da habe ich laut geflucht. Meine Frau hasst es, wenn ich im Auto fluche, aber mich entlastet das emotional. Fluchen ist mein Maunzen.
Die Klimaaktivisten hatten sich auf der Straße festgeklebt. Das ist das neue Ding im Aktivisten-Business: Festkleben mit Sekundenkleber. Dann wartet man ab, bis sich riesige Staus bilden und die Polizei kommt. Nebenbei stellt man Forderungen, die garantiert niemand erfüllen wird. In diesem Fall: Bundeskanzler Olaf Scholz soll neue Ölbohrungen in der Nordsee stoppen. »Öl sparen statt bohren« – das war das Motto. Ich dachte: Die Klimaaktivisten der Achtziger- und Neunzigerjahre hätten sich niemals auf der Straße festgeklebt, sondern natürlich direkt an der Bohrinsel. Die junge Aktivistengeneration hat es einfach nicht drauf. Die sind zu satt, zu weich.
Ich stand schon oft im Stau. Wegen Unfällen, Menschen auf der Fahrbahn, Tieren auf der Fahrbahn oder einfach wegen zu vieler Autos. Meist denke ich: Reg dich nicht auf, du kannst es nicht ändern. Dann fluche ich eine Weile vor mich hin, bis ich schicksalsergeben hinter dem Lenkrad zusammensacke. Aber diesmal spürte ich eine nie da gewesene Wut. Oder anders gesagt: Tiere auf der Fahrbahn ertrage ich besser als Klimaaktivisten auf der Fahrbahn. Was mich ein wenig erschreckte, weil ich dem Klimaaktivismus doch stets freundlich gesinnt war. Jahrelang habe ich die Grünen gewählt und für Greenpeace gespendet.
Die Sonne brannte, die Katze maunzte, durch das Auto zog plötzlich der Geruch von Katzenurin, offensichtlich hatte sie sich in den Katzenkorb erleichtert. Meine Sympathie für die Klimaaktivisten hat das nicht gesteigert. Ein Freund erzählte mir mal, dass er, wenn er im Auto vor sich hin flucht, manchmal das Gefluchte gendert. Es ist kein Witz. Er mache das, um sich abzulenken, sagte mein Freund. Außerdem bekämen die aggressiven Worte durch das Gendern etwas verspielt Dadaistisches, und er fühle sich innerlich nicht so verbittert. Ich fluchte: »Vollpfost_innen!« Und: »Verdammte Idiot*innen!« Aber es half wenig. Vielleicht braucht man, ähnlich wie beim Meditieren, eine gewisse Übung.
Die Polizei kam. Halleluja, dachte ich. Später las ich, dass die Polizei die angeklebten Aktivisten aufwendig und sanft vom Asphalt ablösen musste. Mit Hilfe von Speiseöl. Man kann wohl Rapsöl nehmen, auch Olivenöl oder Sonnenblumenöl. Womöglich gibt es bei der Berliner Polizei bereits Öl-Schulungen oder die Soko »Extra Vergine«. In Paris arbeitet die Polizei nicht so rücksichtsvoll. Dort wurden kürzlich die Klimaaktivisten völlig ölfrei einfach vom Asphalt gezogen. Ich dachte: Vive la France.
Aber Wut ist seelisch kein guter Zustand. Man fühlt sich so wütend und auch irgendwie alt. Viel lieber würde ich denken: Das sind junge, idealistische Menschen, die für eine bessere Welt kämpfen. Sei ihnen nicht gram. Zeige dich solidarisch, reiche ihnen frischen Klebstoff, die Ziele sind gut, und wärst du heute 20 Jahre alt, wer weiß, vielleicht würdest du auch dort kleben.
Aber würde ich das wirklich? Es ist eine Typfrage, schätze ich. Als Aktivist muss man radikal von seiner Sache überzeugt sein. Ich neige ständig zum Zweifel. Manchmal finde ich auch andere Meinungen richtig gut. Als Aktivist müsste ich bereit sein, Leute zu erpressen, damit sie bestimmte Dinge tun oder denken. Das wäre mir zu undemokratisch.
In meiner ostdeutschen Kindheit gab es mal einen Fußballverein mit dem schönen Namen »Aktivist Schwarze Pumpe«, und die berühmteste Aktivistin der DDR war Frida Hockauf, eine Weberin, die den Sozialismus voranbrachte durch ihre Plan-Übererfüllung. In der Schule hörten wir von der »Frida-Hockauf-Methode«, und der allseits bekannte Frida-Hockauf-Slogan lautete: »So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.«
Immerhin: Das strahlte wenigstens eine gewisse Zukunftsfreude aus. Der aktuelle Klimaaktivismus ist mir zu apokalyptisch. Diese ständige Untergangsstimmung, da stumpfe ich ab.
Zudem erzeugt bei mir Aktivismus, selbst in schwacher Dosierung, schnell ein Dagegen-Gefühl. Ich möchte ein Beispiel nennen: Bin ich einige Tage nicht zu Hause, dann zieht meine Frau in meinem Arbeitszimmer sofort alle Stecker aus den Steckdosen. Meine Frau tut das, um Strom zu sparen und die Umwelt zu entlasten. Intellektuell verstehe ich ihr Handeln und stimme ihr inhaltlich völlig zu. Aber es macht mich trotzdem wahnsinnig. Auf der emotionalen Ebene.
Jetzt, wo ich im Stau stand, dachte ich: Klimaaktivisten sollten sich mehr mit der widersprüchlichen Psychologie des Menschen beschäftigen. Dann wären ihre Aktionen vielleicht erfolgreicher. Es ist doch so: Vermutlich wird keiner der vom Stau Betroffenen später nach Hause fahren und sagen: »Danke, liebe Klimaaktivisten! Durch eure kluge Klebe-Aktion habt ihr mir endlich die Augen geöffnet. Künftig werde ich mich klimapolitisch engagieren.«
Es ist eine Art von Aktivismus, die sich lieber Feinde schafft, als Verbündete sucht. Warum das der Sache dienen soll, wissen nur die Aktivisten.
Von Jochen Gutsch