Ein Buch unserer Kolumnisten Maxim Leo und Jochen-Martin Gutsch wird verfilmt, aber dieser Film wird nie einen Oscar gewinnen, weil er von einem alten weißen Mann handelt.
Vor ein paar Wochen habe ich mit einem Filmproduzenten telefoniert, der gerade ein Buch von Maxim Leo und mir verfilmt. Der Filmproduzent sagte, dass alles super laufe, vor allem mit dem Cast sei er sehr zufrieden. Christoph Maria Herbst und Christiane Paul spielen die Hauptrollen, und auch Jürgen Vogel und Ulrich Tukur seien dabei. Es klang wirklich alles total super, das haben Filmproduzenten einfach drauf: super Stimmung machen.
Vor ein paar Tagen las ich dann in der Zeitung, dass es für den Oscar in der Kategorie „Bester Film“ künftig neue Kriterien geben soll. Danach muss mindestens eine Hauptrolle oder eine wichtige Nebenrolle mit einem Schauspieler einer „unterrepräsentierten Gruppe“ besetzt werden. Oder aber: der Film handelt inhaltlich von einer unterrepräsentierten Gruppe. Solche sind laut der Filmakademie Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderung sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender.
Da bekam ich ein etwas mulmiges Gefühl. Alles, was in den USA popkulturell passiert, ist ja morgen schon in Deutschland. Auch für deutsche Filmpreise wird es vermutlich bald ähnliche Regeln geben. Unglücklicherweise ist meine Buchverfilmung nun überhaupt nicht divers. Null! Das liegt vor allem am Buch. Es handelt von einem weißen heterosexuellen Mann mittleren Alters, der mit einer weißen heterosexuellen Frau mittleren Alters verheiratet ist. Sie haben zwei weiße Kinder und einen Kater, deren sexuelle Identität nicht weiter thematisiert wird. Das Buch mit dem Titel „Es ist nur eine Phase, Hase“ haben der Kollege Leo und ich ohne Diversitäts-Bewusstsein 2017 geschrieben. Zur Verteidigung kann ich nur sagen, dass das Buch recht autobiografisch ist.
Lege ich die neuen Oscar-Kriterien nun an die Verfilmung an, bleibt positiv zu erwähnen, dass Christiane Paul, also eine Frau, eine Hauptrolle spielt. Ist sie bisexuell? Ich hoffe es. Definitiv aber ist sie Ostdeutsche und gehört damit zu einer „unterrepräsentierten Gruppe“ beziehungsweise fällt unter „Menschen mit Behinderung“.
Bei Christoph Maria Herbst wiederum klingt eine gelebte sexuelle Ambivalenz an, ein non-binäres Leben. Oder? Hier der Christoph. Dort die Maria. Dazu der Herbst, eine Jahreszeit, die nicht Sommer sein will. Aber auch nicht Winter.
Jürgen Vogel wiederum heißt, was kaum einer weiß, eigentlich: Jewgeni Vogelstein und ist ein jüdischer Russlanddeutscher mit schwarzen Wurzeln, der 1990 aus einem Vorort von Omsk, wo er als LGBT-Aktivist wirkte, nach Deutschland flüchtete.
Ein Beruf, der im Filmbusiness an Bedeutung gewinnen wird: der Diversitäts-Checker. Er sitzt immer mit dabei, beim Casting, bei der Plot-Entwicklung, und schaut, dass der Film den Diversitätskriterien entspricht. Das kann knifflig sein.
Der Film „Gladiator“ gewann 2000 den Oscar als bester Film. Er handelt von dem Sklaven Maximus. Das ist gut (unterrepräsentierte Gruppe). Aber dieser Sklave ist weiß und lebt offen heterosexuell. Ein erfahrener Diversitäts-Checker hätte das bei der Plot-Entwicklung gesehen und darauf gedrängt, dass Maximus sich in einem Nebenstrang des Films wenigstens für ein schwul-lesbisches Begegnungszentrum zur Geschichte der Sklaverei engagiert. Mein Gott, es ist doch nicht so schwer!
Gerne wäre ich mal dabei, wenn zukünftig die Oscar-Jury tagt. Welcher Film setzt sich durch? Ist es unter Diversitätskriterien besser, zwei asiatische Hauptdarsteller zu haben als zwölf schwarze Frauen als Nebendarstellerinnen? Ein Kriterium über das jetzt wenig geredet wurde, ist die künstlerische Qualität eines Filmes. Ist aber auch nicht mehr so wichtig.
20.09.2020 – Jochen-Martin Gutsch