Seit sei­ne Toch­ter einen neu­en Freund hat, fin­det Maxim Leo stän­dig Män­ner­klei­dungs­stü­cke in der Woh­nung. Wo soll das nur hin­füh­ren? (Ber­li­ner Zeitung)

Ich glau­be, dass Kata­stro­phen sich ankün­di­gen. Vor etwa zwei Jah­ren schrieb ich über die pad­del­boot­gro­ßen Turn­schu­he, die bei uns vor den Kin­der­zim­mer­tü­ren stan­den, wenn mei­ne Töch­ter Her­ren­be­such emp­fin­gen. Schon damals hat­te ich kein gutes Gefühl bei der Sache, habe mit allen Mit­teln (Geld, fal­schen Ver­spre­chun­gen, Aus­plau­dern der Schwä­chen mei­ner Töch­ter, Andro­hung von Gewalt) ver­sucht, die­se picke­li­gen Tes­to­ste­ron-Hünen zu ver­trei­ben. Lei­der ohne Erfolg.

Mei­ne Frau Cathe­ri­ne mein­te, ich wür­de über­re­agie­ren. Dabei ist doch die Über­le­gung, dass der Papa der ein­zi­ge Mann ist, dem ein jun­ges Mäd­chen grund­sätz­lich ver­trau­en soll­te, nicht ganz so abwe­gig, oder?

Jeden­falls ist jetzt etwas pas­siert, was alle mei­ne Vor­ah­nun­gen und Ängs­te bestä­tigt hat. Aber der Rei­he nach: Es begann vor zwei Mona­ten mit einem Pull­over, der über einem unse­rer Küchen­stüh­le hing. Ich frag­te: „Was ist das denn für ein Pull­over?“ Mei­ne Toch­ter Nad­ja, der Bal­sam mei­ner See­le, ant­wor­te­te: „Der ist von Hubert.“ Ich dach­te kurz dar­über nach, wie sehr Eltern ihr Kind has­sen müs­sen, um es Hubert zu nen­nen, schenk­te die­sem Gedan­ken aber kei­ne wei­te­re Beach­tung und beschloss, auch den Pull­over zu igno­rie­ren. Schließ­lich ist es doch nicht schlimm, sag­te ich mir, wenn da mal so ein Klei­dungs­stück her­um­liegt. Kein Grund, gleich ein Dra­ma zu veranstalten.

Eine Woche spä­ter fand ich ein paar Socken, die acht­los zusam­men­ge­knüllt im Flur lagen. Ich frag­te: „Was sind denn das für Socken?“ Und mei­ne Toch­ter Nad­ja, der Glanz mei­ner schwa­chen Augen, ant­wor­te­te: „Die sind von Hubert.“ Da atme­te ich ganz ruhig, blieb ent­spannt, sag­te mir, es kön­ne doch mal pas­sie­ren, dass man aus Ver­se­hen sei­ne Socken aus­zieht und sie dann nicht mehr wie­der­fin­det. Es mag Väter geben, die sich über so etwas auf­re­gen, aber mein Gott, wer bin ich denn, dass ich da nicht drü­ber­stün­de? Ähn­lich ging es mir zwei Tage spä­ter mit der Jacke, die auf ein­mal in unse­rer Flur­gar­de­ro­be hing, und auch die gel­be Müt­ze mit den grü­nen Strei­fen und ein zwei­tes Paar Socken konn­ten mei­ne fast über­mensch­li­che Locker­heit nicht erschüttern.

Aller­dings kam dann der Tag, an dem mei­ne bud­dhis­ti­sche Gelas­sen­heit die ers­ten win­zi­gen Ris­se bekam. Es war der Tag, an dem ich die Wäsche auf­häng­te und auf eine Män­ner­un­ter­ho­se stieß, die ein­deu­tig nicht mei­ne war. Ich frag­te: „Was ist denn das für eine Unter­ho­se?“ Und mei­ne Toch­ter Nad­ja, der Freu­den­quell mei­ner trau­ri­gen Tage, ant­wor­te­te: „Die ist von Hubert.“ Ich ver­such­te, es nicht wich­tig zu neh­men, aber es wider­streb­te mir zutiefst, die­se (zudem recht gro­ße) Unter­ho­se über die Lei­ne zu hän­gen. Es fühl­te sich irgend­wie falsch an!

Ich ver­ste­he es auch nicht. Was trägt Hubert denn, wenn sei­ne Unter­ho­se, sei­ne Socken, sein Pull­over, sei­ne Jacke und sei­ne gel­be Müt­ze mit den grü­nen Strei­fen bei uns in der Woh­nung her­um­lie­gen? Läuft er nackt da drau­ßen her­um oder hat er längst eine Kis­te bei uns ste­hen, in der er sei­ne Wech­sel­wä­sche lagert? Und wie wird das wei­ter­ge­hen? Steht bald Huberts Zahn­bürs­te in mei­nem Becher? Liegt Huberts Bade­man­tel in mei­nem Schrank? Hän­gen Huberts Bil­der bei uns an der Wand? Ich stel­le mir vor, wie ich irgend­wann abends nach Hau­se kom­me, mir noch ein Bier aus dem Kühl­schrank neh­men will, plötz­lich aber eine Hand auf mei­ner Schul­ter spü­re und Huberts Stim­me höre, die sagt: „Freund­chen, das ist mein Bier. Und über­haupt, was machst du alter Mann eigent­lich die gan­ze Zeit in mei­ner Wohnung?“

Wenn Sie, lie­be Lese­rin­nen und Leser, dem­nächst einen Typen auf der Stra­ße sehen, der eine deut­lich zu gro­ße Unter­ho­se und eine gel­be Müt­ze mit grü­nen Strei­fen trägt, dann hat mich Hubert ver­mut­lich gera­de rausgeschmissen.

27.09.2020 – Maxim Leo