Wenn mei­ne Töch­ter etwas wirk­lich Drin­gen­des mit ihren Freun­din­nen zu bespre­chen haben, dann rufen sie nicht etwa an oder sen­den eine SMS. Nein, sie schi­cken eine Sprach­nach­richt. Anschlie­ßend war­ten sie, bis eine Sprach­nach­richt zurück­kommt. Dann schi­cken sie erneut eine Sprach­nach­richt. So ver­brin­gen sie gan­ze Nach­mit­ta­ge mit dem Über­mit­teln ein­zel­ner, abge­hack­ter Sätze.

Erst kürz­lich wur­de ich wie­der Zeu­ge eines die­ser Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­su­che mei­ner Toch­ter Nad­ja und ihrer Freun­din Lina. Nad­ja rief in ihr Tele­fon: „Wann wol­len wir uns nach­her tref­fen?“ Eine hal­be Minu­te spä­ter schall­te Linas Stim­me aus dem Tele­fon-Laut­spre­cher: „Ich wür­de sagen, vor dem Saturn, wo der Fahr­rad­stän­der ist.“

„Ja, aber wann?“ – „Am bes­ten an den Fahr­rad­stän­dern neben dem U‑Bahn-Aus­gang.“ – „Wenn man vom Kauf­hof kommt?“ – „Na, so gegen drei Uhr, wür­de ich sagen.“ –„Halb vier wäre mir lie­ber.“ – „Nein, auf der ande­ren Sei­te vom U‑Bahn-Aus­gang“ – „Das letz­te habe ich jetzt nicht ver­stan­den …“ – „Okay, tschüüüßß!“

Ich frag­te Nad­ja, ob sie sich dar­über im Kla­ren sei, dass die­ses Gerät, das sie da in der Hand hält, eine ganz tol­le Funk­ti­on hat, die es ermög­licht, in ein kras­ses Echt­zeit-Gespräch ein­zu­tre­ten. So von Mensch zu Mensch, von Mund zu Ohr. Ich sag­te: „Leu­te wie ich, die noch im ver­gan­ge­nen Jahr­tau­send gebo­ren wur­den, nen­nen es Tele­fon.“ Nad­ja sah mich mit­lei­dig an. „Tele­fo­nie­ren?“, sag­te sie, als sei die­ser Vor­schlag das Abge­fah­rens­te, was sie seit lan­gem gehört hat.

Ver­su­che nicht, es zu verstehen

Ich fin­de das inter­es­sant, ich mei­ne, nor­ma­ler­wei­se ent­wi­ckeln sich doch die Din­ge vom Nie­de­ren zum Höhe­ren. Gera­de im tech­ni­schen Bereich führt jede Wei­ter­ent­wick­lung gemein­hin zu einer Ver­bes­se­rung. Wie kommt es, dass die jun­gen Leu­te kom­mu­ni­zie­ren, als wäre eben das Mor­se-Alpha­bet erfun­den wor­den? Als ich mei­ne älte­re Toch­ter Anais danach frag­te, sag­te sie: „Papa, ver­such nicht zu ver­ste­hen, was du nicht mehr ver­ste­hen kannst.“ Tja, so läuft das bei uns mit dem Dia­log der Generationen.

Mei­ne per­sön­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Kar­rie­re begann noch ganz klas­sisch, mit einem Brief, den ich Con­ny Mül­ler in der sechs­ten Klas­se nachts in den Brief­kas­ten steck­te, um sie zu fra­gen, ob sie mit mir gehen wol­le. Eine Woche spä­ter lag in mei­nem Brief­kas­ten ein zusam­men­ge­fal­te­ter Zet­tel, auf dem stand: Nein. Spä­ter hing an der Tür mei­ner ers­ten Woh­nung eine Kas­sen­rol­le, die ich aus der Kauf­hal­le mit­ge­nom­men hat­te. An der Rol­le klemm­te ein Stift, sodass jeder, der mich ver­geb­lich besu­chen kam, eine Nach­richt hin­ter­las­sen konnte.

Doch ganz praktisch

Im Febru­ar 1991 grün­de­te ich eine Wer­be­agen­tur, die „Wer­bung Leo“ hieß, weil ich gehört hat­te, dass Busi­ness-Leu­te beson­ders zügig einen Tele­fon­an­schluss bekom­men, was sich als zutref­fend erwies. Ich saß in mei­ner Küche, strich über die Wähl­schei­be mei­nes Fern­sprech-Appa­rats und fand es unglaub­lich, dass ich jetzt ein gan­zes Tele­fon für mich haben soll­te. Kurz dar­auf kauf­te ich mei­nen ers­ten Anruf­be­ant­wor­ter. Ich war­te­te stun­den­lang, bis end­lich mal jemand anrief, um dann nicht abzu­neh­men, weil ich ja der Welt zei­gen woll­te, dass ich kom­mu­ni­ka­ti­ons­mä­ßig ganz vor­ne mitspiele.

Spä­ter kamen dann die Han­dys und die Tele­fon-Flat­rates. Ich habe schon ewig nicht mehr von mei­nem Fest­netz­an­schluss tele­fo­niert. Und wenn es am Fest­netz­an­schluss klin­gelt, dann kön­nen es eigent­lich nur mei­ne Eltern sein, die sogar noch Nach­rich­ten hin­ter­las­sen, was ja in mei­ner Gene­ra­ti­on kaum noch jemand tut.

An all das muss­te ich den­ken, als ich ges­tern mei­ne ers­te Sprach­nach­richt ver­schick­te. Ist echt prak­tisch, und unter uns gesagt auch ein Zei­chen dafür, dass man noch über­haupt nicht alt ist.

09.09.2018 – Maxim Leo