Einen Kino­film, den ich mir unbe­dingt anse­hen will, trägt den Titel: „Don’t worry – he won’t get far on foot“. Über­setzt: Kei­ne Sor­ge, er kommt nicht weit zu Fuß. Erzählt wird die Lebens­ge­schich­te des ame­ri­ka­ni­schen Car­too­nis­ten John Cal­la­han, der an einer Quer­schnitt­läh­mung litt, im Roll­stuhl saß und ger­ne Behin­der­ten­wit­ze zeich­ne­te. Die Haupt­rol­le spielt Joa­quin Phoenix.

Vor ein paar Tagen las ich dann, dass es gegen den Film in den USA Pro­tes­te gab. Von Behin­der­ten­ver­bän­den. Der Vor­wurf lau­te­te: Joa­quin Phoe­nix spie­le einen Behin­der­ten, sei aber selbst gar nicht behin­dert. Es han­de­le sich hier um einen Fall von „kul­tu­rel­ler Aneignung“.

Das ist ein Begriff, der gera­de sehr in Mode ist und die ille­gi­ti­me Aneig­nung der Kul­tur von Min­der­hei­ten umschreibt. Sucht man im Inter­net nach „kul­tu­rel­ler Aneig­nung“, stößt man auf vie­le inter­es­san­te Fäl­le. Die Mode­fir­ma Cha­nel han­del­te sich einen Shit­s­torm wegen Ras­sis­mus ein, weil sie in ihrer Kol­lek­ti­on einen Bume­rang anbot – die Jagd­waf­fe der aus­tra­li­schen Ureinwohner.

Die Schau­spie­le­rin Scar­lett Johans­son soll­te kürz­lich für einen Film in die Rol­le eines Trans­man­nes schlüp­fen – eine Frau, die zum Mann wird. Sofort brach ein Sturm der Ent­rüs­tung los. Nur ein Trans­mensch dür­fe einen Trans­men­schen spielen.

Die ame­ri­ka­ni­sche Schau­spie­le­rin Ruby Rose wie­der­um wur­de für die Rol­le der „Bat­wo­man“ aus­er­wählt. Bat­wo­man ist les­bisch. Die Schau­spie­le­rin Ruby Rose ist auch les­bisch. Kein Pro­blem? Auf Twit­ter gab es gro­ße Pro­tes­te, weil Ruby Rose nicht „les­bisch genug“ wir­ke. Ich habe mich dann gefragt: Les­bisch genug – was soll das denn sein? Kurz­haar­fri­sur, Damen­bart, unra­sier­te Bei­ne, Stim­me wie ein Bag­ger­fah­rer? Ist das nicht ein homo­pho­bes Klischee?

Ein biss­chen diskriminiert

Irgend­wie, das ist mein Ein­druck, gehört es heu­te zum guten Ton, sich ein biss­chen dis­kri­mi­niert zu füh­len. Eine Art moder­ner Gemütszustand.

Als Ost­deut­scher ist mir Dis­kri­mi­nie­rung durch „kul­tu­rel­le Aneig­nung“ natür­lich total ver­traut. Die ost­deut­sche Geschich­te wird mir seit Ewig­kei­ten von West­deut­schen erklärt. Hun­der­te west­deut­scher Schau­spie­ler haben bereits Ost­deut­sche gespielt. Sogar Vero­ni­ca Fer­res. Auch die „Tra­bi-Safa­ris“, in denen West­deut­sche im Gefährt der ost­deut­schen Urein­woh­ner durch MEINEN Prenz­lau­er Berg hei­zen, habe ich tap­fer ertra­gen. Aber das nächs­te Mal mache ich auch einen Empö­rungs-Hash­tag auf Twitter!

Also, wenn ich nicht zu faul bin. Ost­deut­sche sind ja sehr faul.

Vor ein paar Tagen sah ich mir dann Joa­quin Phoe­nix als behin­der­ten Comic-Zeich­ner an. Dabei kam mir die Idee für eine Komö­die. Der Plot geht so: Ein Schau­spie­ler, der nicht behin­dert ist, soll einen Roll­stuhl­fah­rer spie­len. Dar­auf­hin gibt es Pro­tes­te wegen kul­tu­rel­ler Aneig­nung. Schnell wird ein behin­der­ter Schau­spie­ler mit der Rol­le beauf­tragt. Aber wie­der gibt es Pro­tes­te, denn: Der behin­der­te Schau­spie­ler ist nicht „behin­dert genug“. Ihm fehlt nur ein Bein oder so. Dar­auf­hin spielt nun ein schwer behin­der­ter Schau­spie­ler ohne Bei­ne und Arme die Rol­le. Aber wie­der gibt es Pro­tes­te, denn der schwer­be­hin­der­te Schau­spie­ler ist nur in der ers­ten Gene­ra­ti­on schwer­be­hin­dert. Dar­auf­hin fahn­det die Film­fir­ma nach einem schwer­be­hin­der­ten Schau­spie­ler mit schwer­be­hin­der­ten Vor­fah­ren bis ins Mit­tel­al­ter. Lei­der ist die­ser schwer­be­hin­der­te Schau­spie­ler mit gutem Behin­de­rungs­stamm­baum nur kör­per­lich behin­dert. Des­halb kommt es zu mas­si­ven Pro­tes­ten vom Ver­band der geis­tig behin­der­ten Film­schaf­fen­den. Die Film­fir­ma fin­det glück­li­cher­wei­se in einem Plat­ten­bau in Sach­sen-Anhalt einen kör­per­lich und geis­tig schwer­be­hin­der­ten Schau­spie­ler, der aber als AfD-nah und ras­sis­tisch gilt. Wie­der gibt es Proteste…

Ich weiß noch nicht, wie der Film enden soll. Aber mög­li­cher­wei­se damit, dass ein­fach Joa­quin Phoe­nix die Rol­le spielt.

19.08.2018 – Jochen-Mar­tin Gutsch