Vor ein paar Tagen saß ich in einer schä­bi­gen Hal­le und war­te­tet auf ein Flug­zeug, das mich von Kabul nach Dubai brin­gen wür­de. Hof­fent­lich. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren war ich ein paar Mal als Repor­ter in Afgha­ni­stan, und immer saß ich am Ende in die­ser Abflug­hal­le und bang­te, dass nichts mehr schief geht.

Dubai ist ein völ­lig gesichts­lo­ser Ort mit 42 Grad Außen­tem­pe­ra­tur und glit­zern­den Wol­ken­krat­zern und Shop­ping-Malls, die sie dort in den Wüs­ten­bo­den gerammt haben. Ich habe nie ver­stan­den, war­um Leu­te nach Dubai rei­sen. Aber immer wenn ich in Kabul sit­ze, erscheint mir Dubai wie die Vor­stu­fe zum Para­dies. Oder wie es Shoib, mein afgha­ni­scher Kol­le­ge, sagt: „You’re fly­ing towards peace now.“

Shoib ist ein gro­ßer, schwe­rer Mann und eines Mor­gens, als wir an unse­rer Repor­ta­ge arbei­ten woll­ten, erschien er über­mü­det und sehr ver­spä­tet am Treff­punkt. Was ist los?, frag­te ich ver­är­gert. „Sor­ry, Jochen“, sag­te er. Aber ges­tern Abend sei­en zwei sei­ner Freun­de, Jour­na­lis­ten, bei einem Anschlag ums Leben gekom­men. Ande­re Freun­de lagen ver­letzt in einem Kabu­ler Kran­ken­haus. Dann zün­de­te sich Shoib eine Ziga­ret­te an und blies den Rauch wütend in den Himmel.

In die­sem Augen­blick habe ich über­legt, die Recher­che abzu­bre­chen. Ich dach­te: Wir kön­nen ja jetzt nicht ein­fach wei­ter­ma­chen. Aber Shoib zuck­te mit den Schul­tern und sag­te: „Das ist Afgha­ni­stan. Das ist unser Leben. Du gehst mor­gens aus dem Haus und weißt nicht, ob du abends zurückkommst.“

Grü­ße aus Kabul

Ich war zehn Tage in Kabul. Ein Flie­gen­schiss. Aber allein in die­sen zehn Tagen gab es zwei Anschlä­ge in der Stadt mit über 30 Toten. Abends, im Hotel­zim­mer, schau­te ich immer die Nach­rich­ten auf Tolo-News, einem afgha­ni­schen Sen­der. Im Prin­zip bestehen die Nach­rich­ten nur dar­aus, die täg­li­chen Atten­ta­te, Kriegs­hand­lun­gen und Toten in Afgha­ni­stan auf­zu­zäh­len. Bei Tolo-News berich­te­ten sie auch über einen neu­en Abschie­be­flug aus Deutsch­land. Sieb­zehn Afgha­nen wur­den von Mün­chen nach Kabul gebracht. Anschei­nend gibt es immer noch deut­sche Poli­ti­ker, die den­ken, Afgha­ni­stan sei ein „siche­res Her­kunfts­land“. Und irgend­wie wün­sche ich ihnen von gan­zem Her­zen, dass man sie mal hier­her bringt und eine Woche lang auf den Stra­ßen von Kabul aus­setzt. Zusam­men mit einem Hau­fen Pegida-Fritzen.

Nur mal so. Als klei­ner Erlebnisurlaub.

Nach­den­ken über Chemnitz

Ich habe auch deut­sche Nach­rich­ten geschaut. Wenn das Inter­net nicht zusam­men­ge­bro­chen war im Hotel. Aber die deut­schen Pro­ble­me füh­len sich sehr nied­lich an, wenn man in Kabul sitzt. Auf Face­book for­der­te mich eine Freun­din auf, mein Pro­fil­fo­to mit „Wir sind mehr“ zu ver­se­hen, als Zei­chen gegen den Ras­sis­mus nach den Vor­fäl­len von Chem­nitz. Ich glau­be, dar­an erkennt man ein wohl­ha­ben­des, fried­li­ches, sor­gen­frei­es Land: dass die Leu­te Zeit haben für süßen Facebook-Aktivismus.

Sogar Hele­ne Fischer hat sich jetzt zu Chem­nitz geäu­ßert. Genau­so wie der Schla­ger­sän­ger Mickie Krau­se. Das las ich auf Spie­gel Online, wäh­rend nicht weit ent­fernt von mei­nem Hotel die nächs­te Bom­be hoch­ging. Von Mickie Krau­se ken­ne ich nur das Lied „Zehn nack­te Fris­ö­sen, mit rich­tig feuch­ten … Haa­ren“. Ich weiß des­halb nicht, ob es gut ist, wenn Mickie Krau­se jetzt auch poli­tisch eingreift.

Aber anschei­nend läuft in Deutsch­land gera­de die gro­ße Mobil­ma­chung. Alle sol­len was zu Chem­nitz sagen, weil das Land mal wie­der am Abgrund steht. Oder „Wei­ma­rer Ver­hält­nis­se“ dro­hen. Oder die Welt­herr­schaft der AfD. Auch dar­an erkennt man ein wohl­ha­ben­des, fried­li­ches, sor­gen­frei­es Land: die gro­ße Lust am Unter­gang. Am Dra­ma. In Län­dern, die wirk­lich am Arsch sind, ist den Leu­ten die­se Lust längst vergangen.

16.09.2018 – Jochen-Mar­tin Gutsch