Manch­mal kom­me ich mir ein biss­chen doof vor. Ich den­ke dann: Alle sehen doch, was los ist. Nur Du, Gutsch, begreifst es anschei­nend nicht. So ging es mir jetzt bei dem „Skan­dal­spiel“ von Paris, wie es in die­ser schö­nen Zei­tung hieß.

Was war pas­siert? In der Cham­pi­ons League spiel­ten Paris St. Ger­main und die tür­ki­sche Mann­schaft Istan­bul Basak­se­hir gegen­ein­an­der. Der vier­te Offi­zi­el­le war an die­sem Abend Sebas­ti­an Col­tes­cu, ein Rumä­ne. Col­tes­cu infor­mier­te den Schieds­rich­ter dar­über, dass der Co-Trai­ner der tür­ki­schen Mann­schaft, ein Kame­ru­ner, wegen unsport­li­chen Ver­hal­tens die rote Kar­te erhal­ten soll. Da vie­le Spie­ler die Schieds­rich­ter umring­ten, sag­te Col­tes­cu zur Iden­ti­fi­zie­rung: „Schau mal, der Schwar­ze da.“ So hat es eine rumä­ni­sche Über­set­ze­rin in der Bild-Zei­tung wiedergeben.

Alle sind sich nun einig: Das war ras­sis­tisch. Selbst der tür­ki­sche Prä­si­dent Erdo­gan, ein bekann­ter Men­schen­recht­ler, sprach von Ras­sis­mus, was fast schon wie­der lus­tig ist. Was soll ich sagen? Ich kapier’ es nicht. Es gab und gibt im Fuß­ball immer wie­der üble ras­sis­ti­sche Beschimp­fun­gen, Affen­lau­te, Bana­nen­wür­fe, Schmä­hun­gen gegen­über dun­kel­häu­ti­gen Spie­lern. Die lei­der sel­ten bis nie geahn­det wer­den. Und jetzt empö­ren sich alle über die For­mu­lie­rung „negru“, Rumä­nisch für „schwarz“? War­um ist es ras­sis­tisch zu sagen: der Schwarze?

Eine Argu­men­ta­ti­on dazu lau­tet: Wäre der Spie­ler weiß gewe­sen, hät­te der Schieds­rich­ter ja auch nicht gesagt: der Wei­ße da. Ich wür­de ver­mu­ten, dies hängt von der kon­kre­ten Situa­ti­on ab. Denn steht der Wei­ße allein zwi­schen eini­gen schwar­zen Spie­lern, wird man ver­mut­lich sehr wohl sagen: der Wei­ße da.

Es geht in die­sem Moment um schnel­le Iden­ti­fi­zie­rung in einer auf­ge­heiz­ten Situa­ti­on. Genau­so wie man sagen könn­te: der Dicke da! Oder der Klei­ne. Oder der Blon­de. Oder der mit der gro­ßen Nase. Oder der mit dem Holz­bein. Gut, Letz­te­res ist auf dem Feld des Pro­fi­fuß­balls eher sel­ten. Natür­lich kön­nen sich nun auch gleich wie­der alle Spie­ler belei­digt füh­len, weil sie ja nicht dick sind oder klein oder kei­ne gro­ße Nase haben. Aber es tut mir leid, per­sön­lich emp­fun­de­ne Betrof­fen­heit allein ist kein Maß­stab. Schon gar nicht im Fuß­ball, wo auf dem Platz noch ganz ande­re Sachen gesagt wer­den, wie jeder weiß, der halb­wegs ernst­haft die­sen Sport betreibt.

Was ich scha­de fin­de: Dass es anschei­nend nicht mehr mög­lich ist, sol­che Din­ge unter Sports­män­nern zu lösen. Im Sin­ne des guten alten Fair­play. Etwa, indem der Schieds­rich­ter erklärt: „Pass auf, ich woll­te dich damit nicht belei­di­gen. Für mich ist ’Schwar­zer’ kein Schimpf­wort, kei­ne Abwer­tung.“ Der Co-Trai­ner sagt: Okay, akzep­tiert. Und dann gibt man sich die Hand. Und macht wei­ter. Statt­des­sen wird einem Men­schen lie­ber sofort Ras­sis­mus unter­stellt. Die ganz gro­ße Keu­le. Gefolgt von der ganz gro­ßen media­len Empörung.

Inso­fern ist der Skan­dal von Paris kein „star­kes Signal gegen Ras­sis­mus“, wie man jetzt lesen konn­te. Son­dern ein hüb­sches Bei­spiel für unse­re Erre­gungs­ge­sell­schaft. All den gut geöl­ten „Aufschrei!“-Reflexen, die gern ver­wech­selt wer­den mit ech­tem Anti-Rassismus-Kampf.

Und dann knien die Spie­ler im Wie­der­ho­lungs­spiel auf dem Rasen wie Frei­heits­kämp­fer oder min­des­tens Muham­mad Ali und ver­schi­cken auf Twit­ter die übli­chen „Black Lives Matter“-Tweets, die mitt­ler­wei­le so belie­big sind, dass man sie auch zu Weih­nach­ten oder zum Geburts­tag ver­schi­cken kann, weil es ja immer irgend­wie passt.

Ein Fes­ti­val der hoh­len Gesten.

Hier, in die­ser schö­nen Zei­tung, emp­fahl ein Kom­men­ta­tor nun die „lebens­lan­ge Sper­re“ des vier­ten Offi­zi­el­len Cor­tes­cu. Immer­hin, dach­te ich. Kei­ne Todes­stra­fe. Das ist ja wirk­lich mal gnä­dig und maßvoll.

15.12.2020 – Jochen-Mar­tin Gutsch