Als ich mei­ner Groß­mutter vor vie­len Jah­ren mal davon erzählt habe, dass es Men­schen gibt, die kein Fleisch essen, wes­halb man sie Vege­ta­ri­er nennt, schau­te sie mich über­rascht und auch ein wenig skep­tisch an und sag­te: „Ach Jun­ge, die­se neu­en Moden, ich glau­be, das ver­ste­he ich nicht mehr.“ Ähn­lich ging es mir im ers­ten Moment, als ich von der Sapi­o­se­xua­li­tät erfuhr. Falls sie, lie­be Leser, nicht wis­sen, was das ist, erklä­re ich es kurz: Sapi­o­se­xu­el­le sind Men­schen, die ihre Sexu­al- und Lebens­part­ner aus­schließ­lich nach deren Intel­li­genz auswählen.

Das brach­te mich dazu, auch mal ein wenig über mei­ne sexu­el­le Ori­en­tie­rung nach­zu­den­ken. Dabei fiel mir auf, dass ich ver­mut­lich auch sapi­o­se­xu­ell bin. Also zumin­dest teil­wei­se. Weil ich es schon nicht schlecht fin­de, wenn eine Frau einen durch­schnitt­lich lan­gen Rela­tiv­satz stol­per­frei aus­spre­chen kann. Ich fin­de es auch nicht über­trie­ben, zu wis­sen, dass die Erde sich um die Son­ne dreht und dass Bal­zac nicht nur der Begrün­der eine Kaf­fee­haus­ket­te war.

Die­se Erkennt­nis mei­ner zumin­dest par­ti­el­len Sapi­o­se­xua­li­tät erfüll­te mich mit Stolz, weil ich ansons­ten, sexu­ell gese­hen, eher ein unori­gi­nel­ler Lang­wei­ler bin. Ich mei­ne, ich bin weder pan­se­xu­ell, noch hete­ro­fle­xi­ble, noch gen­der­que­er. Ich bin ein mit­tel­al­ter, wei­ßer Cis-Mann. Und wenn sie, lie­be Leser, nicht wis­sen, was das ist, tja dann müs­sen sie das selbst nach­schla­gen, weil ich ja hier nicht alles erklä­ren kann.

Wobei ich in mei­nem Fall wohl eher von sapi­o­se­xu­el­len Ten­den­zen spre­chen soll­te, weil mir das Aus­se­hen mei­ner Sexu­al­part­ner (das muss ich unum­wun­den zuge­ben) nie kom­plett egal war. Ich bin also qua­si bise­xu­ell, teil­wei­se sapio und teilweise…tja, wie soll ich das aus­drü­cken? Ich habe lan­ge recher­chiert, aber ich habe kei­nen Begriff gefun­den, der aus­drückt, dass man sich sexu­ell zu attrak­ti­ven Men­schen hin­ge­zo­gen fühlt. Obwohl das ja angeb­lich eine recht ver­brei­te­te Form der sexu­el­len Aus­rich­tung sein soll. Der Begriff Sapi­o­se­xua­li­tät kommt vom latei­ni­schen Wort für „wis­sen“, sape­re. „Schön­heit“ heißt auf Latein „pulchri­tu­do“, wes­halb ich als neu­en Ter­mi­nus in den Sexu­al­ori­en­tie­rungs-Wis­sen­schaf­ten „Pulch­sexua­li­tät“ anbie­ten würde.

Ich bin also halb sapio, halb pulch. Außer­dem spielt der Geruch der Haut für mich eine Rol­le. Und die Art zu gehen. Und die Art zu lachen. Und die Art über sich selbst zu lachen. Aber das macht die Sache jetzt natür­lich ganz schön kompliziert.

Noch kom­pli­zier­ter wird es, wenn man dar­über nach­denkt, wie sich bestimm­te Attrak­ti­vi­täts-Fak­to­ren gegen­sei­tig aus­glei­chen kön­nen. Wenn man zum Bei­spiel sehr alt ist, aber dafür auch sehr reich, dann kann in den Augen eines wesent­lich jün­ge­ren Sexu­al­part­ners das hohe Alter durch den beträcht­li­chen Reich­tum kom­pen­siert wer­den. Im Ergeb­nis ist man dann etwa gleich alt. Oder gleich reich.

Die bes­te mir bekann­te wis­sen­schaft­li­che Stu­die zu die­sem The­ma ist die Hei­ß/Ir­re-Ska­la von Bar­ney Stin­son aus der Serie „How I Met Your Mother“. Bar­ney erklärt dar­in, dass eine Per­son es sich durch­aus erlau­ben kann, ein wenig irre zu sein, wenn sie im sel­ben Maße heiß ist. Wird die Per­son aller­dings immer irrer, aber nicht immer hei­ßer, dann funk­tio­niert der Aus­gleich nicht mehr und die Bezie­hung ist unver­züg­lich zu beenden.

Was ich mich natür­lich fra­ge: Wie funk­tio­niert der Sex bei kom­plett Sapi­o­se­xu­el­len? Genügt zum Aus­lö­sen des Orgas­mus der Satz: „Marx hat doch mit sei­ner Dia­lek­tik nicht Hegels Idea­lis­mus zur Maku­la­tur wer­den las­sen, oder Schatz?“ Pro­bie­ren sie, lie­be Leser, es doch ein­fach mal aus. Wenn ihr aktu­el­ler Sexu­al­part­ner sich nach dem Hören die­ses Sat­zes stöh­nend auf dem Laken rekelt, dann wis­sen sie Bescheid. In die­sem Sin­ne wün­sche ich ein genuss­vol­les Wochenende.

17.07.2020 – Maxim Leo