Lie­be Frau Lewe­renz, lie­ber Herr Haak, mei­ne letz­te Kolum­nde zum The­ma „Kli­ma­wan­del” hat Ihnen nicht gefal­len. In Leser­brie­fen brach­ten sie Ihren Unmut zum Aus­druck. Sie, lie­be Frau Lewe­renz, schrie­ben mir: „Sie kön­nen mei­net­we­gen irgend­wo in Iowa ihre Kolum­nen ver­fas­sen, dort pas­sen Sie mit Ihrer igno­ran­ten Welt­an­sicht weit­aus bes­ser hin.“

Das fand ich inter­es­sant. Iowa! Ich war noch nie in Iowa, dach­te aber sofort an den schö­nen Film „Gil­bert Gra­pe – Irgend­wo in Iowa“, Haupt­rol­le John­ny Depp. Mit Iowa, lie­be Frau Lewe­renz, ver­bin­den Sie offen­sicht­lich nichts Gutes. Son­dern nur: Igno­ranz – und ver­mut­lich einen Hau­fen eng­stir­ni­ger, gest­ri­ger, unge­bil­de­ter, erz­kon­ser­va­ti­ver Ami-Land­ei­er, habe ich recht?

Des­halb möch­te ich ein wenig Wer­bung für Iowa machen. Auf Wiki­pe­dia erfuhr ich: In Iowa wur­de bereits 1839 die Skla­ve­rei für unge­setz­lich erklärt – lan­ge bevor dies in ganz Ame­ri­ka der Fall war. Iowa war auch der ers­te Bun­des­staat, der Frau­en die Aus­übung juris­ti­scher Beru­fe erlaub­te, im Jah­re 1869. Iowa gehör­te zu den ers­ten Bun­des­staa­ten, in denen gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re hei­ra­ten durf­ten. Hier, im super-fort­schritt­li­chen Deutsch­land, war dies erst eini­ge Jah­re spä­ter mög­lich. Und der Des Moi­nes Regis­ter, die gro­ße Tages­zei­tung Iowas, emp­fahl sei­nen Lesern 2008 die Wahl von Barack Oba­ma zum Prä­si­den­ten. Sie sehen, lie­be Frau Lewe­renz, Iowa ist gar nicht so igno­rant. Die Din­ge auf unse­rer run­den Welt sind oft viel kom­pli­zier­ter und ambi­va­len­ter, als man so denkt.

Das gilt lei­der auch für den Kli­ma­schutz. In die­ser Woche las ich, dass Sven­ja Schul­ze, die Umwelt­mi­nis­te­rin, Plas­tik­tü­ten ver­bie­ten will. Mein ers­ter Gedan­ke war: Fin­de ich gut! Plas­tik-Tüten belas­ten die Umwelt, Papier­tü­ten sind viel bes­ser. Dann begann ich zu lesen. Und sofort wur­de die Welt wie­der kom­pli­ziert und ambivalent.

In der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen las ich, dass eine Ein­weg-Papier­tü­te in ihrer Öko­Bi­lanz nicht bes­ser ist als eine Ein­weg-Plas­tik­tü­te. Für die Her­stel­lung der Papier­tü­te benö­tigt man so viel Was­ser und Ener­gie, dass man die Tüte mehr­mals benut­zen muss, bis die Öko­bi­lanz wie­der stimmt. Das däni­sche Umwelt­mi­nis­te­ri­um hat aus­ge­rech­net: unge­fähr 43-mal.

Des­halb dach­te ich nun: Baum­woll­beu­tel sind die Lösung! Sind sie aber auch nicht. Rund 100-mal müss­te man einen Baum­woll­beu­tel tra­gen, bevor die Öko-Bilanz bes­ser ist, als bei einer Plas­tik­tü­te. Sagen die Exper­ten vom Natur­schutz­bund Nabu. Ande­re Exper­ten gehen von rund 150-mal aus. Und, um alles noch ein wenig kom­pli­zier­ter zu machen: Plas­tik­tü­ten machen unge­fähr ein Pro­zent des gesam­ten Plas­tik­mülls aus.

Gewiss darf man auch die­ses eine Pro­zent nicht klein­re­den, nur beschleicht mich bei der Tüten-Fra­ge das Gefühl, dass es sinn­vol­le­re Din­ge gibt, die man für die Umwelt tun könn­te. Momen­tan scheint aber zu gel­ten: Haupt­sa­che IRGENDWAS tun.

Lie­ber Herr Haak, womög­lich sorgt die­se Aus­sa­ge bei Ihnen wie­der für Unmut. Sie schrie­ben in Ihrem Leser­brief: „Sie haben mit Herrn Gutsch da einen Mit­ar­bei­ter, der Ihnen und uns allen in zuneh­men­dem Maße kei­nen Gefal­len mehr tut. Sei­ne süf­fi­san­te Art, die Pro­ble­me der Kli­ma­kri­se lächer­lich zu machen, stößt bei uns auf gro­ßes Unverständnis.“

Lie­ber Herr Haak, ich glau­be, Sie den­ken das Rich­ti­ge. Nie­mand soll­te eine Zei­tung lesen müs­sen, in der Leu­te Din­ge schrei­ben, die der eige­nen Welt­sicht wider­spre­chen. Was soll das brin­gen? Ansons­ten könn­te ich Ihnen noch das neue Pro­jekt der Ber­li­ner Zei­tung „Deutsch­land spricht” ans Herz legen. Dort kann man Men­schen tref­fen, die poli­tisch anders den­ken, als man selbst. Ja, wirk­lich! Dass für sol­che Begeg­nun­gen heu­te eine Art Betreu­ung not­wen­dig zu sein scheint, stimmt mich traurig.

Es grüßt Sie herz­lich, Jochen-Mar­tin Gutsch, Iowa.

18.08.2019 – Jochen-Mar­tin Gutsch