Ich war mit Freun­den in Riga, im Rah­men unse­res legen­dä­ren Män­ner­rei­se-Pro­gramms, das mich schon an vie­le Orte der Welt geführt hat, von denen ich nie viel gese­hen habe. Denn auf den Män­ner­rei­sen, wie ich sie ken­ne, wird tra­di­tio­nell sehr viel geschla­fen. Und geges­sen. Und dann wie­der geschla­fen. Die Zwi­schen­zeit ver­trei­ben wir uns oft mit dem Genuss von alko­ho­li­schen Erfri­schungs­ge­trän­ken. Es bleibt also nicht viel Spiel­raum, um die Gegend zu erkun­den, um Land und Leu­te zu ent­de­cken. Meis­tens ler­nen wir nur die unmit­tel­ba­re Umge­bung unse­rer Feri­en­woh­nung ken­nen, in einem Umkreis von maxi­mal fünf­zig Metern.

Mein Freund und Kol­le­ge Jochen Gutsch hat­te die­ses Mal die Auf­ga­be, die Feri­en­woh­nung zu reser­vie­ren, was ihm (wie wir alle fan­den) auf beein­dru­cken­de Wei­se gelun­gen ist. Wir resi­dier­ten in einem Refu­gi­um, das aus­sah wie der feuch­te Traum eines let­ti­schen Klein-Olig­ar­chen. Gutsch selbst bewohn­te ein Zim­mer mit ver­spie­gel­ten Wän­den und einer frei­ste­hen­den Roko­ko-Bade­wan­ne. So konn­te er sich wäh­rend des Badens aus ver­schie­dens­ten Per­spek­ti­ven betrach­ten. Ich selbst war in einer mit viel Plüsch und Tüll deko­rier­ten Dach­kam­mer unter­ge­bracht, deren Bal­ken mit Gold­far­be gestri­chen waren. Wir hät­ten in die­sen Gemä­chern ver­mut­lich einen groß­ar­ti­gen Art­house-Por­no dre­hen kön­nen. Aber lei­der waren ja nur Män­ner dabei, und für einen Schwu­len-Por­no fehl­te uns irgend­wie der Mut. Und natür­lich auch die Zeit.

Meis­tens haben unse­re Män­ner­rei­sen einen klei­nen bil­dungs­po­li­ti­schen Auf­hän­ger, auch um die Ver­hand­lun­gen mit unse­ren Ehe­frau­en ein­fa­cher zu gestal­ten. Ich sage dann: „Schatz, die Jungs und ich, wir brau­chen mal wie­der einen kul­tu­rel­len Höhe­punkt.“ In die­sem Jahr in Riga war das nicht mal gelo­gen, weil wir Kar­ten fürs Ramm­stein-Kon­zert hatten.

Schon zwei Tage vor dem Kon­zert war die Stadt voll von Ramm­stein-Fans. Der typi­sche Ramm­stein-Fan trägt schwar­ze Kla­mot­ten, neigt zu einer gewis­sen Kör­per­fül­le, hat einen ordent­li­chen Stier­na­cken und ver­strömt die ver­spiel­te Aggres­si­vi­tät eines gut erzo­ge­nen Pit­bulls. Lei­der ver­sam­mel­ten sich vie­le Ramm­stein-Fans direkt vor unse­rer Tür, weil es dort einen ver­glas­ten Bier­gar­ten gab, in dem nur Ramm­stein gespielt wur­de. In Kon­zert­laut­stär­ke. Die gan­ze Zeit. Und obwohl ich wirk­lich ein gro­ßer Freund die­ser Musik bin, muss ich zuge­ben, dass es mich irgend­wann so ein ganz klei­nes biss­chen übel­lau­nig wer­den ließ.

In Riga mit Rammstein

Beein­dru­ckend war aller­dings die Text­si­cher­heit der Fans, deren düs­te­rer Chor­ge­sang wie Gewit­ter­grol­len durch die engen Alt­stadt­gas­sen zog. Die Fans kamen aus allen mög­li­chen Län­dern, spra­chen kein Wort Deutsch, san­gen aber mühe­los die Zei­len: „Heu­te treff’ ich einen Herrn / Der hat mich zum Fres­sen gern / Wei­che Tei­le und auch har­te / Ste­hen auf der Spei­se­kar­te“. Bei Ramm­stein-Kon­zer­ten wird über­all auf der Welt mit­ge­sun­gen. In Paris, in Mos­kau, in New York, über­all ken­nen sie die Tex­te. Ver­mut­lich trägt Ramm­stein mehr zur Ver­brei­tung der deut­schen Spra­che bei als das Goe­the-Insti­tut. Wobei das natür­lich auch zu Pro­ble­men füh­ren kann. Wenn ich mir vor­stel­le, wie zum Bei­spiel ein süd­ko­rea­ni­scher Ramm­stein-Fan zum ers­ten Mal nach Deutsch­land kommt, einer attrak­ti­ven Frau begeg­net und sei­nem Ver­lan­gen mit den Wor­ten Aus­druck ver­leiht: „Schö­nes Fräu­lein / Lust auf mehr / Blitz­krieg mit dem Fleisch­ge­wehr / Schnaps im Kopf / du hol­de Braut / Steck Brat­wurst in dein Sau­er­kraut.“ Das könn­te mög­li­cher­wei­se falsch ver­stan­den werden.

Das Kon­zert in Riga war übri­gens toll, wir tanz­ten und staun­ten und lie­fen mit betäub­ten Köp­fen durch die Nacht. Und ein paar dunk­le, schö­ne Zei­len ver­fol­gen mich seit­dem: „Die Lip­pen oft ver­kauft, doch weich / Und ewig sie berüh­ren / Wenn ich ihren Mund ver­ließ / Dann fing ich an zu frieren.“

10.08.2019 – Maxim Leo