Eine Orga­ni­sa­ti­on, die ich bis­lang nicht kann­te, ist der Zen­tral­ver­band des Deut­schen Fri­seur­hand­werks. Vor ein paar Tagen las ich dann, dass die­ser stol­ze Ver­band einen Brief an den Deut­schen Fuß­ball­bund geschickt hat, um auf ein gesell­schaft­li­ches Pro­blem auf­merk­sam zu machen.

In dem Brief heißt es: „Mit gro­ßer Ver­wun­de­rung muss­ten wir an den ver­gan­ge­nen Spiel­ta­gen fest­stel­len, dass ein Groß­teil der Fuß­ball­pro­fis sich mit frisch­ge­schnit­te­nen Haa­ren auf dem Platz prä­sen­tier­te: Ein­ra­sier­te Schei­tel, auf weni­ge Mil­li­me­ter getrimm­tes Nacken- und Schlä­fen­haar, sau­be­re Kon­tu­ren. Fri­su­ren, die nur pro­fes­sio­nel­le Fri­seu­rin­nen und Fri­seu­re mit Pro­fi-Equip­ment schnei­den kön­nen.“ Und wei­ter: „Der Unmut gegen­über top­ge­styl­ten Fuß­bal­lern (…) wächst.“

Am Sams­tag­abend schaue ich ger­ne Bun­des­li­ga. Mich inter­es­siert der Fuß­ball, weni­ger die Fri­su­ren. Zumal Fuß­bal­ler-Fri­su­ren nicht den bes­ten Ruf haben. Hoch­ge­bun­de­ne Pfer­de­schwän­ze nach Art des Urban-Samu­rai, Extrem-Fär­bun­gen, Vokuh­i­la, ein­ra­sier­te Rücken­num­mern – vie­le Scheuß­lich­kei­ten las­sen sich bei Fuß­bal­lern bewun­dern. Legen­där ist die Fri­sur des Bra­si­lia­ners Ronal­do bei der WM 2002: Er rasier­te sich den gan­zen Kopf und ließ nur vor­ne an der Stirn ein paar Haa­re in Form eines Halb­mon­des stehen.

Soll ich nun also nei­disch dar­auf sein, dass Fuß­bal­ler auch in Zei­ten geschlos­se­ner Fri­seur­sa­lons fri­siert sind? Wächst mein Unmut? Bal­le ich die Fäus­te und rufe zusam­men mit dem Zen­tral­ver­band des Deut­schen Fri­seur­hand­werks: „Stoppt das unso­li­da­ri­sche Fuß­bal­ler-Fri­sier­ver­hal­ten!“ Dazu bin ich viel zu faul. Außer­dem: Wem hilft es? Es reicht schon, wenn ich selbst immer häss­li­cher wer­de. Ich ste­he zum Bei­spiel mor­gens im Bad, schaue in den Spie­gel, erschau­de­re und den­ke an einen Comic-Strip, den ich neu­lich irgend­wo las. Ein Kind fragt: „Mama, wann machen die Fri­seu­re wie­der auf?“ Ant­wort: „Ich bin Papa.“

Mit­te Novem­ber war ich zum letz­ten Mal beim Fri­seur. Die Kanz­le­rin sagt: „Die Lage bleibt hart bis Ostern.“ Bis Ostern sehe ich aus wie „das Tier“ aus der „Mup­pet Show“. Mei­ne Frau hat mir ange­bo­ten, mei­ne Haa­re zu schnei­den. Das ist nett, aber die letz­te Frau, die mei­ne Haa­re schnitt, ohne Fri­seu­rin zu sein, war mei­ne Mut­ter. Und egal, was ich damals zu ihr sag­te, her­aus kam am Ende immer die glei­che Fri­sur: Ein Kin­der-Pony. Bis in die spä­ten Jah­re mei­ner Puber­tät trug ich Kin­der-Pony, was mei­ne sexu­el­le Ent­wick­lung doch sehr zurückwarf.

Außer­dem: Was kommt als Nächs­tes? Soll ich mei­ner Frau auch die Haa­re schnei­den? Wer­den wir uns irgend­wann gegen­sei­tig die ver­filz­ten Rest-Fri­su­ren lau­sen wie zwei ver­lieb­te Äff­chen im Urwald von Ugan­da? In Nord­rhein-West­fa­len wur­de jetzt in einem Kel­ler ein „Coro­na-regel­wid­ri­ges Tref­fen zum Haa­re schnei­den auf­ge­löst“. Nach einem „Hin­weis aus der Bevöl­ke­rung“. So stand es in der Zei­tung. Anschei­nend ist die Not groß. Ähn­lich wie in Ame­ri­ka zu Zei­ten der Pro­hi­bi­ti­on die Flüs­ter­knei­pen flo­rier­ten, könn­ten nun über­all ille­ga­le Fri­sier-Flüs­ter­kel­ler auf­ma­chen. Aber ein Hin­weis aus der Bevöl­ke­rung? Gibt es wirk­lich Leu­te, die bei der Poli­zei anru­fen und sagen: „Herr Wacht­meis­ter, in mei­nem Hof sah ich gegen 22 Uhr eine Per­son, die sah aus wie ein Fri­seur. Aus dem Kel­ler kom­men Sche­ren­ge­räu­sche, durch mein Fens­ter weht der Geruch von Tro­cken­sham­poo. Bit­te kom­men Sie vor­bei und brin­gen Sie Ver­stär­kung mit!“

Wie schnell sich die Din­ge in Kri­sen­zei­ten ändern. Ein „gepfleg­ter Herr“, eine „gepfleg­te Dame“ – wie stolz das mal klang. Heu­te ist es irgend­wie ver­däch­tig. Das ewi­ge Home­of­fice, ich spre­che aus eige­ner Erfah­rung, führt zur modi­schen und kör­per­li­chen Ver­lot­te­rung. Das Aus­geh­ver­bot för­dert den häus­li­chen Alko­ho­lis­mus. Die Kon­takt­be­schrän­kung macht uns ver­huscht und wun­der­lich. Die Pfei­ler der Zivi­li­sa­ti­on wan­ken. Ich bin des­halb froh über jeden Bür­ger, der noch fri­siert ist. 
Legal? Ille­gal? Scheißegal.

28.01.2021 – Jochen-Mar­tin Gutsch