Als Fami­li­en­ka­ter Rio ver­schwin­det, ent­deckt Maxim Leo, dass Bill Gates’ Welt­ver­schwö­rung auch ihr Gutes hat. (Ber­li­ner Zeitung)

Letz­tens schrieb ich über den Mikro­chip, der mei­nem Kater Rio von Bill Gates ein­ge­setzt wur­de, damit die­ser ver­mut­lich im kom­men­den Früh­jahr die Welt­herr­schaft über­neh­men kann. Ich äußer­te mich recht kri­tisch Bill Gates gegen­über, weil ich nicht ver­stan­den habe, war­um er aus­ge­rech­net mei­nen Kater für sei­ne fie­sen Plä­ne ein­spannt. Ich mei­ne, man kann Rio eine Men­ge vor­wer­fen (erst ges­tern pul­ler­te er grund­los in den Kof­fer mei­ner Toch­ter Anais, die gera­de zu Besuch ist), aber grund­sätz­lich hat er doch ein gut­mü­ti­ges Wesen und war auch Inter­net-Mil­li­ar­dä­ren gegen­über stets aufgeschlossen.

Nun aller­dings ist etwas gesche­hen, das mich dazu zwingt, noch ein­mal ganz neu über Rio, Bill Gates und die­se gan­ze Mikro­chip­sa­che nach­zu­den­ken. Es könn­te dar­auf hin­aus­lau­fen, dass ich mich in aller Form bei Bill Gates ent­schul­di­gen muss, aber ich will nicht vor­grei­fen, las­sen sie mich der Rei­he nach erzäh­len: Vor acht Tagen war Rio auf ein­mal spur­los ver­schwun­den, er stand nicht wie üblich mor­gens bei uns im Hof und miau­te. Er war weg.

Natür­lich war die Fami­lie des­halb in höchs­ter Sor­ge, wir kleb­ten Such­pla­ka­te an die Türen der Nach­bar­häu­ser und schick­ten auch eine Ver­miss­ten­mel­dung an die Orga­ni­sa­ti­on Tas­so, die, wie ich mitt­ler­wei­le weiß, eine Tarn­fir­ma von Bill Gates in Deutsch­land ist. Offi­zi­ell fir­miert Tas­so als Tier­such­dienst, sie lie­fern die Mikro­chips, die den Kat­zen unter das Fell gescho­ben wer­den, um sie iden­ti­fi­zie­ren zu kön­nen, falls sie mal ver­lo­ren gehen. Jeder Tier­arzt, jede Poli­zei­sta­ti­on, jedes Tier­heim hat mitt­ler­wei­le ein Gerät, mit dem die­se Chips aus­ge­le­sen wer­den kön­nen. Ich muss ihnen, lie­be Leser, nicht sagen, wie sehr das die Welt­herr­schafts­plä­ne von Bill Gates voranbringt.

Aller­dings hat die Sache, das muss ich zuge­ben, auch einen gro­ßen prak­ti­schen Nut­zen, denn nur zwei Tage nach unse­rer Ver­miss­ten­mel­dung erreich­te mich ein Anruf von Tas­so. Ein freund­li­cher Mit­ar­bei­ter erklär­te, eine frei­wil­li­ge Such­hel­fe­rin habe Rio wie­der­ge­fun­den. Es war näm­lich so, dass unser fei­ner Herr Kater in der Nacht, in der er ver­schwand, etwa drei Kilo­me­ter durch Ber­lin spa­ziert war, um schließ­lich vor einem Haus in Ber­lin-Fried­richs­hain Rast zu machen und jäm­mer­lich zu miau­en. Es war gegen drei Uhr mor­gens, sein Kla­ge­lied hall­te durch die nacht­ru­hen­de Stra­ße und weck­te einen drei­zehn­jäh­ri­gen Jun­gen, der aus dem Bett sprang, auf die Stra­ße eil­te und Rio in die Woh­nung sei­ner Mut­ter brachte.

Die Mut­ter schal­te­te am nächs­ten Tag eine Anzei­ge bei Ebay-Klein­an­zei­gen „Kater zuge­lau­fen“, mit einem Foto von Rio. Die frei­wil­li­ge Such­hel­fe­rin stieß auf die Anzei­ge, ver­glich Rios Foto mit den Ver­miss­ten­fo­tos von Tas­so, stell­te eine Ähn­lich­keit fest und mach­te sich umge­hend mit ihrem Mikro­chip-Lese­ge­rät auf den Weg, um Rio schließ­lich zwei­fels­frei zu identifizieren.

So ist es letzt­lich Bill Gates und die­ser frei­wil­li­gen Such­hel­fe­rin zu ver­dan­ken, dass Rio jetzt wie­der bei uns ist. Bei die­ser Gele­gen­heit erfuhr ich, dass es in ganz Deutsch­land hun­dert­tau­sen­de Frei­wil­li­ge gibt, die dabei mit­hel­fen, ver­schwun­de­ne Haus­tie­re wie­der­zu­fin­den. An die­ser Stel­le sei ihnen allen beson­ders gedankt, auch wenn sie natür­lich (ohne es zu wis­sen) Teil einer Welt­ver­schwö­rung sind.

Der ein­zi­ge, der sich wenig dank­bar zeig­te, war Rio, der so tat, als sei gar nichts gesche­hen. Kaum war er zu Hau­se, ver­putz­te er eine Por­ti­on Rin­der­häpp­chen in Sau­ce und schlief ein. Meh­re­re Ver­su­che, die Sache mit ihm zu bespre­chen, schlu­gen fehl. Ich selbst habe Bill Gates jetzt einen Brief geschrie­ben. Ich schrieb: „Lie­ber Bill, es ist sicher­lich nicht nett, dass Du uns alle kon­trol­lie­ren willst, aber Dan­ke für Rio. Und, eine Fra­ge, funk­tio­nie­ren die­se Chips eigent­lich auch bei Ehe­frau­en? Herz­li­che Grü­ße, Dein Maxim“.

19.10.2020 – Maxim Leo