Frauenrechtlerinnen sind in großer Sorge, las ich kürzlich, weil sich durch die Corona-Pandemie die traditionellen Rollenmuster von Frau und Mann erneut verfestigen. So sind es vor allem die Frauen, die sich um den Heimunterricht der Kinder kümmern, während die Männer sich wie immer auf das Geldverdienen konzentrieren. Von einem « Rollback » ist die Rede, ein Begriff, den ich zuletzt glaube ich im Staatsbürgerkunde-Unterricht gehört habe, als es um den Versuch der amerikanischen Monopolkapitalisten ging, die linke Sandinisten-Regierung in Nicaragua zu stürzen.
Daran musste ich denken, als ich gestern Abend meine Töchter Stricken sah. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa, im milden Schein der Leselampe, mit weichen Gesichtern in die Arbeit vertieft, die Stricknadeln klapperten beruhigend. Die Szene erinnerte an ein Gemälde eines holländischen Meisters – die Welt von gestern, in Öl fixiert.
Wobei meine Töchter das völlig anders sehen, für sie ist Stricken nicht reaktionär, sondern entspannend. Und offenbar total trendy. « Alle stricken gerade », sagte Anais, und Nadja erzählte von Freundinnen, die sich in Zoom-Gruppen zur gemeinschaftlichen Handarbeit verabreden. Natürlich gibt es auch schon die ersten Studien zum neuen Trend. Die « Washington Post » schreibt, 81 Prozent der Menschen, die regelmäßig stricken, fühlten sich glücklicher und mit sich selbst im Einklang. Verhaltenstherapeuten erklären, das Stricken, gerade im jungen Alter, stärke die Geduld und die Disziplin. Außerdem könne man während des Strickens weder Alkohol trinken, noch rauchen, noch Chips essen, was gesundheitsmäßig ein großes Plus bedeute.
Ich fragte meine Töchter, ob sie sich darüber im Klaren seien, dass die strickende Frau das Sinnbild des auf Hausarbeit beschränkten Weibes ist. Ein Symbol der Geschlechterungerechtigkeit, des Heimchens am Herd. Ihr überraschter Blick sagte mir, dass sie sich keineswegs über irgendetwas im Klaren waren. Was vermutlich bedeutete, dass der einzige, der hier wirklich ein Problem hatte, ich selbst war. « Das alles ist doch schon lange vorbei, Papa », sagte Nadja. « Schon sehr lange », sagte Anais.
Ich dachte an meine Mutter, die einmal versucht hatte, mir einen Pullover zu stricken. Der Versuch begann, als ich zwölf Jahre alt war, zu meinem sechzehnten Geburtstag bekam ich dann den Pullover überreicht. Ich erinnere mich an die grobe, braune Wolle, die beim Tragen auf der Haut kratzte. Leider waren die Ärmel nicht auf derselben Höhe angebracht, weshalb ich die linke Schulter etwas nach unten ziehen musste, ansonsten aber war der Pullover tadellos.
Ich erinnere mich an das angestrengte Gesicht meiner Mutter während des Strickens, ich schätze, sie hätte in der Zeit lieber ein Buch gelesen, oder Tee getrunken, oder etwas über strickende Frauen geschrieben. Später sagte sie, es sei ein Versuch gewesen, jemand anderes zu sein.
Meine Mutter ist nicht nur die Frau, die ich am längsten kenne, sie ist auch die freieste Frau, die mir je begegnet ist. Sie hat eigentlich immer gemacht, was sie wollte. Und wenn sie das gerade mal nicht wusste, dann hat sie geträumt. Ich kann mich nicht erinnern, von ihr je etwas über Feminismus gehört zu haben. Womöglich liegt es daran, dass sie schon so lange so ist, wie sie sein will.
Die Frau, die ich am zweitlängsten kenne, ist meine Frau Catherine. Als ich sie fragte, ob sie Feministin sei, schaute sie mich beleidigt an. « Ich bin Französin », sagte sie, und damit war das Thema für sie erledigt.
Wenn ich das also richtig sehe, gibt es nur einen wirklichen Feministen in unserer Familie, nämlich mich. Wobei ich nicht sicher bin, ob das eine gute Nachricht für den Feminismus ist.
21.01.2021 – Maxim Leo