Vor eini­ger Zeit schrieb ich dar­über, wie ich mich in einem Moment gro­ßer emo­tio­na­ler Ver­wir­rung dazu bereit erklärt hat­te, Eltern­spre­cher in der Klas­se mei­ner Toch­ter Anais zu wer­den. Es geschah wäh­rend eines tur­nus­mä­ßi­gen Eltern­abends, und ich weiß bis heu­te nicht, was da mit mir pas­siert ist. Woll­te ich der Gesell­schaft einen Dienst erwei­sen? Oder hat­te ich irgend­was Fal­sches gegessen?

Ich weiß nur, dass ich seit­dem alle mög­li­chen Ver­pflich­tun­gen habe, von denen die wich­tigs­te und ehren­volls­te die Teil­nah­me an der Sit­zung der Gesamt­el­tern­ver­tre­tung ist. Das ist so eine Art Super-Eltern­ver­samm­lung, in der es um die Belan­ge der gan­zen Schu­le geht. Die Grund­re­gel der nor­ma­len Eltern­ver­samm­lung herrscht aber auch hier: Es wird viel zu lan­ge über viel zu unwich­ti­ge Din­ge geredet.

Wir tra­fen uns im Leh­rer­zim­mer, der Direk­tor sprach über die neu­es­ten Ent­wick­lun­gen. So erfuh­ren wir, dass die Toi­let­ten in Teil­be­rei­chen frisch gestri­chen wur­den, dass es zuwei­len Pro­ble­me mit den Schließ­fä­chern in den Flu­ren gibt und dass etli­che Schü­ler zu Hau­se nicht früh­stü­cken, wes­halb sie in der Schu­le manch­mal umkippen.

Am liebs­ten wäre ich auch gleich umge­kippt. Ich spür­te eine gro­ße Müdig­keit in mir auf­stei­gen, mei­ne Arme und Bei­ne wur­den ange­nehm schwer, und ich muss­te dar­um kämp­fen, mei­ne Augen offen zu hal­ten. Ich wäre sicher bald ein­ge­schla­fen, wenn die Frau neben mir nicht plötz­lich so laut und auf­ge­regt gespro­chen hät­te. Es ging um einen Was­ser­spen­der für die Schu­le. Die Frau sag­te, Kin­der müss­ten viel trin­ken, und es sei ein unhalt­ba­rer Zustand, dass nir­gend­wo in der Schu­le ein Was­ser­spen­der zu fin­den ist.

Ich war zufäl­lig kurz vor der Sit­zung auf der Jungs-Toi­let­te im ers­ten Stock gewe­sen, wo es sechs Wasch­be­cken samt Was­ser­häh­nen gab. Sechs Was­ser­spen­der also. Das sag­te ich der Frau und dach­te, das Pro­blem wäre damit gelöst. Die Frau sah mich über­rascht an. „Jungs-Toi­let­te?“, frag­te sie.

Ihr Gesicht ver­zog sich zu einer empör­ten Gri­mas­se, als hät­te ich vor­ge­schla­gen, die Schü­ler soll­ten mit Stroh­hal­men aus Klo­schüs­seln sau­fen. Es kann sein, dach­te ich, dass die­se Frau mal schlech­te Erfah­run­gen auf einer Jungs-Toi­let­te gemacht hat. Ich erin­ner­te mich an Ninet­te Rei­nelt, die wir in der vier­ten Klas­se eine Schul­stun­de lang in eine Toi­let­ten­ka­bi­ne ein­ge­schlos­sen haben.

Die Frau sag­te, im Spen­der wer­de das Was­ser gekühlt, außer­dem wür­den es vie­le Kin­der mögen, wenn Koh­len­säu­re im Was­ser ist. Ich dach­te: Na klar, viel­leicht legen wir noch eine Limo­na­den­lei­tung und bau­en einen Cola-Kanal. Ein zustim­men­des Rau­nen ande­rer Eltern mach­te mir aller­dings klar, dass die Frau mit ihrer Was­ser­spen­der-Lie­be nicht allei­ne war. Sie hat­te bereits ein Ange­bot der Was­ser­be­trie­be ein­ge­holt, die für fünf­tau­send Euro im Jahr einen Schul-Was­ser­spen­der instal­lie­ren würden.

Fünf­tau­send Euro! Kommt das Was­ser aus dem Hima­la­ya? Wird es von tibe­ta­ni­schen Mön­chen mit der Hand geschöpft, um her­nach von drei­spra­chi­gen Ber­ge­seln nach Ber­lin-Pan­kow geschleppt zu wer­den? Aber nein, es stell­te sich her­aus, dass aus dem Was­ser­spen­der auch nur hunds­ge­mei­nes Ber­li­ner Lei­tungs­was­ser fließt, das­sel­be kost­ba­re Nass also, das in den berüch­tig­ten Jungs- und wohl auch Mäd­chen-Toi­let­ten bereits im Über­fluss vor­han­den ist.

Die Frau erwähn­te, dass in die­sem Preis die Behäl­ter-Grund­rei­ni­gung und der jähr­li­che TÜV-zer­ti­fi­zier­te Fil­ter­wech­sel des Was­ser­spen­ders beinhal­tet sei­en. Na dann, dach­te ich, ist es ja ein Schnäppchen.

Eigent­lich soll die Schu­le doch auf das Leben vor­be­rei­ten. Aber was wird spä­ter mal aus Kin­dern, die kein Was­ser ohne Koh­len­säu­re trin­ken? Nun ja, zum Bei­spiel Erwach­se­ne, die im Restau­rant fra­gen, ob sie die Spa­ghet­ti Car­bo­n­a­ra auch ohne Speck, Ei und Käse haben kön­nen, dafür aber mit Trüf­fel­öl und Bärlauchhonig.

Ich wür­de mei­ne Kar­rie­re als Eltern­spre­cher übri­gens ger­ne forst­set­zen. Mein nächs­tes Ziel ist der Lan­des­el­tern­aus­schuss Ber­lin, bis 2019 stre­be ich den Ein­zug in den Bun­des­el­tern­rat an. Mei­ne ein­zi­ge For­de­rung wird sein: Hey Leu­te, ent­spannt euch doch mal ein bisschen!

10.07.2016 – Maxim Leo