Ich habe eine Wanderhose, die, glaube ich, mal dunkelblau war. Seit ich denken kann, habe ich diese Hose, sie hat mir stets treue Dienste geleistet. Aber als ich letzte Woche meine Urlaubssachen packte, sagte meine Frau: „Liebling, du lebst jetzt im Kapitalismus, da darf man sich nach ein paar Jahrzehnten auch mal was Neues kaufen.“
Aus einer Wanderhose werden schnell weitere „wichtige“ Kleidungsstücke
So kam ich in diesen Outdoor-Laden.
Ein Outdoor-Verkäufer kam auf mich zu, ein durchtrainierter, sonnengebräunter Typ mit Pferdeschwanz und Dreitagebart, der aussah, als wäre er ein paar Stunden zuvor vom Mount Everest abgestiegen. Ich hasse solche Verkäufer, ich komme mir dann noch schmächtiger und blasser vor, als ich ohnehin schon bin. Wäre ich ein Outdoor-Laden-Besitzer, würde ich grundsätzlich nur bucklige, adipöse Kerle einstellen, damit meine Kundschaft sich gut fühlt. Aber ich schätze, darum geht es diesen Outdoor-Futzis nicht.
Ich erzählte dem Verkäufer von meinem Wanderhosen-Problem. Er musterte mich und sagte: „Du meinst Trekking-Pants?“ Er zeigte mir ein Modell mit sehr vielen Reißverschlüssen und Taschen. „Pacelite-Technologie, atmungsaktiv, hundert Prozent winddicht, genau das richtige für einen Profi wie dich.“ Ich nickte kennerhaft und wollte in die Umkleidekabine verschwinden, als der Verkäufer fragte, mit welchem Oberteil ich denn die Hose trage. Ich erzählte von meinem guten, alten Wander-T-Shirt, das ich schon fast genau so lange wie meine Wanderhose habe. „Bestimmt aus Baumwolle“, sagte der Outdoor-Verkäufer angeekelt. „Was nutzt dir eine atmungsaktive Hose, wenn du obenrum im Schweiß ertrinkst?“ Er empfahl mir das Summit-Engineered-Shirt mit FlashDry.
„Achtung! Mittelalter Mann mit wenig Ahnung“ – heißt es wahrscheinlich im Einzelhadel
Ich sagte: „Danke! Kein Bedarf!“ Dann dachte ich: Moment mal, vielleicht sollte ich darüber nachdenken. Ich meine, ich schwitze heute deutlich stärker als früher. Ich weiß nicht, ob das mit der Erderwärmung zu tun hat oder nur mit dem Alter. Auf jeden Fall ist es doch recht unangenehm, mit einem nassen Hemd durch die Gegend zu laufen. Der Verkäufer, der ein Gedankenleser zu sein schien, hielt mir wortlos das Shirt hin. Ich griff danach, aber der Verkäufer war schneller. Er legte das Shirt neben eine Wanderjacke. „Farblich würde das auf jeden Fall passen“, sagte er. „Triclimate-Jacke mit DryVent und Ventrix-Technologie, so bleibt die Temperatur unter der Jacke stabil. Du hast Glück, die Jacke ist seit heute um die Hälfte reduziert.“
Ich sagte: „Nein, wirklich, vielen Dank!“
Ich meine, ich bin doch nicht bescheuert, ich weiß, dass ich eine leichte Beute bin. Schon wenn ich so einen Laden betrete, wittert mich der Outdoor-Verkäufer. Dann kommt er näher, und sein Radarsystem meldet: „Achtung! Mittelalter Mann mit wenig Ahnung und zu viele Ambitionen. Go! Go! Go!“ Diese ganze Outdoor-Industrie wurde doch vor allem für Typen wie mich geschaffen. Wir kaufen uns für viel Geld die Illusion, ganz große Abenteurer zu sein. Es ist wichtig, dass man das alles erkennt und nicht in die Falle tappt wie ein Gimpel.
Schneller als man denkt fällt man dem Konsum zum Opfer
Andererseits, sagte der Verkäufer wirklich, die Jacke sei um die Hälfte reduziert? Ich musste an meine alte Wanderjacke denken, bei der seit Jahren der Reißverschluss klemmt. Zumindest anprobieren sollte ich die Jacke, dachte ich.
Später reichte mir der Verkäufer noch einen 100er-Glacier-Fleece-Pullover und ein Softshell mit WindWall-Beschichtung in die Umkleidekabine. Außerdem informierte er mich darüber, dass der Chimera-Rucksack mit dem Dino-Cinch-System, mit dem man die Traglast gleichmäßig kompressieren kann, eine lebenslange Garantie habe.
Zwei Stunden später verließ ich schwer bepackt den Laden, meine neue Pulsuhr am Handgelenk. Wichtig ist doch nur, dachte ich, dass man sich nicht von Vorurteilen lenken lässt. Der sympathische Outdoor-Verkäufer winkte mir hinterher.
14.07.2019 – Maxim Leo