Seit Ange­li­na, die bra­si­lia­ni­sche Groß­tan­te mei­ner Frau, den Som­mer bei uns in Ber­lin ver­bringt, bin ich kom­mu­ni­ka­tiv sehr ein­ge­schränkt. Abends, wenn wir gemein­sam essen, spre­chen Ange­li­na und mei­ne Frau Por­tu­gie­sisch. Ich sit­ze am Tisch, ver­ste­he kein Wort, mache aber einen zuge­wand­ten Ein­druck. Läch­le, hin und wie­der nicke ich wis­send oder sage auf Por­tu­gie­sisch: „Das gefällt mir.“

Die­ser Satz passt nicht immer, aber doch erstaun­lich oft. Die Men­schen mögen es, wenn man ihnen ein posi­ti­ves Feed­back gibt. Eine wei­te­re Erkennt­nis, die ich in den ver­gan­ge­nen Wochen gewon­nen habe: Die Men­schen wir­ken oft viel sym­pa­thi­scher, facet­ten­rei­cher, wenn man nicht ver­steht, was sie sagen. Womög­lich erzählt Ange­li­na nur sehr ödes, bana­les Groß­tan­ten­zeugs, aber in mei­nen Ohren klingt es immer nach gro­ßer, bra­si­lia­ni­scher Weisheit.

Anfangs war es selt­sam, im eige­nen Zuhau­se eine Art Aus­län­der zu sein. Mitt­ler­wei­le genie­ße ich es. Ich habe die Rol­le des lie­bes­wür­di­gen, deut­schen Trot­tels über­nom­men, der den Müll run­ter­bringt, den Wein ent­korkt, das Kat­zen­fut­ter kauft und ansons­ten schweigt, lächelt und wis­send nickt. Ganz ehr­lich? Wenn die Ehe auf eine kom­mu­ni­ka­tiv redu­zier­te Wei­se ver­läuft, erspart man sich einen Hau­fen Pro­ble­me und vor allem: Grund­satz­dis­kus­sio­nen. Es ist wie Heil­fas­ten, man fühlt sich ent­schlackt, beziehungsmäßig.

Schwie­rig wird es zuwei­len nur, wenn ich mit Ange­li­na allei­ne bin. Sie spricht ein wenig Deutsch, da sie in den 90er-Jah­ren eine zeit­lang in Han­no­ver leb­te, um mei­ne Frau, damals noch ein klei­nes Mäd­chen, groß­zu­zie­hen. Aber das Ange­li­na-Deutsch ist ein selt­sa­mes, ver­wun­sche­nes Deutsch, so wie man es manch­mal auf Spei­se­kar­ten im Aus­land liest, wenn dort steht: „Allein auf dem Grill mit Kar­tof­feln und Salat“. Oder: „Muscheln zur Blu­se des Matro­sen“. Oder: „Gebra­te­nes Gros­se Boh­run­gen“. Die­se hüb­schen Bei­spie­le stam­men vom Kolum­nis­ten Axel Hacke, der ein wun­der­ba­res Buch über Spei­se­kar­ten-Deutsch ver­fasst hat.

Deutsch­kurs mit Angelina

Vor ein paar Tagen brach­te ich eine rei­che Bee­ren­ern­te aus Bran­den­burg mit nach Ber­lin. Ange­li­na band sich eine Schür­ze um, klatsch­te freu­dig in die Hän­de und rief: „Mar­mel!“ Aber wer oder was war Mar­mel? Ein deut­sches Wort? Por­tu­gie­sisch? Eine Misch­form? Wir unter­hiel­ten uns minu­ten­lang über Mar­mel, mit Hän­den und Füßen, ich such­te nach mei­nem Por­tu­gie­sisch-Deutsch-Wör­ter­buch, fand es nicht, schließ­lich rief Ange­li­na ver­zwei­felt: „Staa­chel!“.

Das mach­te es nicht bes­ser. Who the fuck is Staachel?

„Ick fet­ti maga Staa­chel!“, rief Ange­li­na. Ihre Ver­zweif­lung wuchs. Mei­ne auch. Fet­ti maga Staachel?

Ich rief mei­ne Frau an und sag­te: „Mar­mel! Fet­ti maga Staachel!“

„Geht’s dir gut?“, frag­te mei­ne Frau. Dann hol­te ich Ange­li­na ans Han­dy. Sie sprach mit mei­ner Frau Por­tu­gie­sisch, sehr auf­ge­regt. Dann war wie­der mei­ne Frau am Han­dy und sag­te: „Also, Ange­li­na will Mar­me­la­de ein­ko­chen. Mar­mel! Aus den Sta­chel­bee­ren. Staa­chel! Und bis heu­te Abend alles fer­tig machen. Fet­ti maga!“

Wie immer, wenn man eine Über­set­zung hört, klingt plötz­lich alles ganz logisch, dach­te ich. Auch die lin­gu­is­ti­sche Deu­tung ist nahe­lie­gend: Ange­li­na lässt bei Wör­tern, die ihr zu lang erschei­nen, ein­fach einen Teil weg. So ent­steht das Ange­li­na-Deutsch. Mitt­ler­wei­le bin ich ein wiss­be­gie­ri­ger Schü­ler, trotz­dem sto­ße ich oft an Grenzen.

„Schnitt!“, sag­te Ange­li­na ges­tern. „Kau­fen Schnitt!“ Ich rief wie­der mei­ne Frau an. „Du sollst Schnitt­lauch kau­fen“, über­setz­te sie. Ich brach­te dann auch Äpfel mit, weil Ange­li­na neben „Schnitt!“ auch „Apfel!“ sag­te. Als ich mit dem Ein­kauf zurück­kam, schau­te Ange­li­na ent­täuscht. Denn jeder Trot­tel weiß: „Apfel“ bedeu­tet nichts ande­res als „Apfel­si­ne“.

07.07.2019 – Jochen-Mar­tin Gutsch