Maxim Leo dach­te, sein Han­dy und er wären ein unschlag­ba­res Team. Dann kam der Mut­ter­tag – und mit ihm die Zwei­fel. (Ber­li­ner Zeitung)

Es gibt ja Män­ner, die füh­len sich von ihren Frau­en miss­ver­stan­den. Oder von ihrer Kat­ze. Oder vom Leben. Ich per­sön­lich zweif­le immer mehr an mei­nem Han­dy. Ich mei­ne, wie lan­ge leben wir jetzt schon zusam­men, mein Han­dy und ich? So um die zwan­zig Jah­re bestimmt. Sicher­lich haben zwi­schen­durch die Model­le gewech­selt, aber bei den Han­dys gilt ja im Grun­de das­sel­be Prin­zip wie im Bud­dhis­mus: Die kör­per­li­che Hül­le stirbt, aber die See­le wird in einem ande­ren Kör­per wiedergeboren.

Bei den Han­dys läuft es ein wenig tech­ni­scher ab als bei den Bud­dhis­ten. Da wird das Back-up des alten Geräts ein­fach auf das neue Gerät über­spielt – und fer­tig ist die Reinkar­na­ti­on. Ich dürf­te also nor­ma­ler­wei­se davon aus­ge­hen, dass mein Han­dy mich ein biss­chen kennt, dass es über mei­ne klei­nen Eigen­hei­ten und Macken im Bil­de ist, aber auch mei­ne Stär­ken und Vor­zü­ge zu schät­zen weiß.

Ich möch­te an die­ser Stel­le erwäh­nen, dass ich in den zwan­zig Jah­ren unse­res Zusam­men­le­bens mein Han­dy nicht ein ein­zi­ges Mal habe fal­len­las­sen. Ich habe es an mei­nem Her­zen getra­gen, habe den Bild­schirm regel­mä­ßig mit einem Rei­ni­gungs­tuch poliert und war auch beim Laden der Bat­te­rie kein Geiz­hals. Um so ent­täusch­ter war ich, als mein Han­dy mir vor etwa einem Monat eine Fra­ge stell­te, die ich (sor­ry für die deut­li­chen Wor­te) unan­ge­mes­sen und auch ein wenig belei­di­gend fand. Das Han­dy frag­te: „Mut­ter anru­fen?“ Manch einer mag mich für über­emp­find­lich hal­ten, aber ich wür­de ger­ne selbst dar­über ent­schei­den, wann ich mei­ne Mut­ter anru­fe. Zumal in die­ser Fra­ge ja auch ein Vor­wurf steck­te: Wann hast DU denn zum letz­ten Mal dei­ne Mut­ter ange­ru­fen? Hast DU ver­ges­sen, dass sie dir das Leben geschenkt hat? Ist das DEINE Art, dich bei ihr zu bedanken?

Ich dach­te: Fuck you, Han­dy! Küm­me­re dich um dei­ne eige­ne Mutter!

Zwei Stun­den spä­ter wand­te sich mein Han­dy erneut an mich, dies­mal mit einem Befehl: „Mut­ter anru­fen!“ Da war für mich der Rubi­kon über­schrit­ten, wie man in Meck­len­burg-Vor­pom­mern sagt. Ich schal­te­te mein Han­dy aus, was ich, glau­be ich, in den letz­ten zwan­zig Jah­ren nicht getan habe. Es war, wenn man so will, die letz­te Eska­la­ti­ons­stu­fe. Den Rest des Tages ver­brach­te ich in gro­ßer Unru­he. Zum einen, weil ich mich frag­te, wie vie­le Anru­fe, SMS und Whats­App-Nach­rich­ten mir gera­de ent­gin­gen. Aber natür­lich auch, weil ich ger­ne gewusst hät­te, ob es mei­ner Mut­ter gut geht. Mög­li­cher­wei­se wuss­te das Han­dy ja etwas, das ich nicht wusste.

Abends schal­te­te ich das Han­dy wie­der ein. Ich hat­te kei­nen ein­zi­gen Anruf, kei­ne ein­zi­ge SMS und kei­ne ein­zi­ge Whats­App-Nach­richt bekom­men, was mich kurz über die Fra­ge nach­den­ken ließ, ob sich über­haupt noch jemand auf die­ser Welt für mich inter­es­sier­te. Von die­sem Gedan­ken war es dann nur noch ein klei­ner Sprung zu mei­ner Mut­ter, die ich umge­hend anrief. Mei­ne Mut­ter freu­te sich sehr. Sie sag­te, sie hät­te wet­ten kön­nen, dass ich den Mut­ter­tag ver­ges­se. Ich frag­te, wie sie denn auf so eine Idee käme. Immer­hin sei sie es gewe­sen, die mir das Leben geschenkt hat, und da sei so ein Anruf ja wohl das Min­des­te, was ich tun könne.

Spä­ter habe ich mich dann bei mei­nem Han­dy ent­schul­digt. Das heißt, direkt ent­schul­digt habe ich mich nicht. Ich habe gesagt: „Schwamm drü­ber!“ Und ich habe ihm erklärt, wie schwer es für einen Mann ist, der Mut­ter den ange­mes­se­nen Platz in sei­nem Her­zen zu geben. Weil es einer­seits so ist, dass die Mut­ter für ihren Sohn ein Leben lang das weib­li­che Vor­bild bleibt. (Ich habe zum Bei­spiel neu­lich gele­sen, dass Män­ner, deren Müt­ter klei­ne Brüs­te haben, äußerst sel­ten mit einer groß­brüs­ti­gen Frau zusammenleben.)

Ande­rer­seits muss sich ein Mann aber von der Mut­ter befrei­en, damit er ers­tens nicht sei­nen Vater umbringt, und zwei­tens über­haupt paa­rungs­fä­hig wird. Na ja, wir hat­ten ein gutes Gespräch, mein Han­dy und ich. Und zum Vater­tag gab es kei­ne Fragen.

12.06.2020 – Maxim Leo