Vor Jah­ren stand ich in Lon­don vor einem Pub und trank ein Fei­er­abend-Bier. Irgend­wann kam eine Frau aus dem Pub, hol­te tief Luft und kotz­te auf den Geh­weg. Ich frag­te die Frau, ob sie Hil­fe brau­che. Sie sah mich erstaunt an, ging in den Pub zurück und trank weiter.

An die­se Bege­ben­heit muss ich jetzt manch­mal den­ken, wenn dar­über dis­ku­tiert wird, ob die Bri­ten sich wirk­lich so sehr von uns Kon­ti­nen­tal-Euro­pä­ern unterscheiden.

Dabei fällt mir noch eine ande­re Geschich­te ein, die ich im All Souls Col­lege in Oxford erleb­te. Ich war dort zu einem Abend­essen ein­ge­la­den. Die Pro­fes­so­ren tru­gen schwar­ze Tala­re, eine lan­ge Tafel war mit wei­ßem Lei­nen, Sil­ber­be­steck und eng­li­schem Gold­rand-Por­zel­lan gedeckt. Hun­der­te Ker­zen tauch­ten den Raum in ein beun­ru­hi­gen­des Har­ry-Pot­ter-Licht. Zum Beginn des Essens hielt der Dekan eine Tisch­re­de in Latein, die von den ande­ren mit gnä­di­gem Mur­meln quit­tiert wur­de. Nach dem Des­sert erzähl­te der Dekan einen Witz, der von Man­ches­ter United, David Beck­ham und einem zu klei­nen Penis handelte.

Ich ken­ne kein ande­res Land, das so beson­ders ist, und das sei­ne Beson­der­heit mit solch einer Inbrunst zele­briert. Jedes Mal, wenn ich auf die­ser fer­nen, nahen Insel bin, habe ich das Gefühl, in eine ande­re Zeit zu rut­schen. Meis­tens in die Ver­gan­gen­heit. Alles ist ein wenig anders, nur um Nuan­cen ver­scho­ben und doch erstaun­lich fremd. Die bräun­li­chen Fas­sa­den, das mil­chi­ge Licht, die tei­gi­ge, blas­se Men­schen­haut, die exal­tier­te Sprach­me­lo­die, die schlum­mern­de Ele­ganz. Neu­lich las ich, ein ame­ri­ka­ni­sches Film­stu­dio hät­te die Mas­sen­sze­nen für einen Film, der im 14. Jahr­hun­dert spielt, in Eng­land dre­hen las­sen, weil die Gesich­ter der Men­schen dort so wun­der­bar alter­tüm­lich wirkten.

Die­se gan­ze Brexit-Debat­te ist ja nicht nur wahn­sin­nig ner­vig, sie ist auch falsch, fin­de ich. Weil so getan wird, als wür­de die bri­ti­sche Beson­der­heit ganz unaus­weich­lich zu einer Tren­nung von Euro­pa füh­ren. Vie­le Bri­ten behaup­ten das, vie­le Kon­ti­nen­tal-Euro­pä­er fin­den das. Ich hal­te das für Blöd­sinn. Ich den­ke, dass wir nichts nöti­ger haben als Beson­der­heit. Von der Nicht-Beson­der­heit, der glo­ba­li­sier­ten Gleich­heit, haben wir genug. Ich fand es immer toll, dass die Bri­ten anders sind. Sie machen die lus­tigs­ten Fil­me, die trau­rigs­te Musik, spie­len den här­tes­ten Fuß­ball und haben eine muti­ge Idee von Freiheit.

Aus irgend­ei­nem Grund kapie­re ich erst jetzt, dass die Bri­ten wirk­lich gehen wer­den. Bis­her dach­te ich immer: Na, mal sehen, viel­leicht pas­siert ja noch was. Mich macht das trau­rig, auch weil ich das Gefühl habe, dass es völ­lig unnö­tig ist. Dass es eigent­lich kaum einer gewollt hat und dass es nun trotz­dem geschieht. Weil Voll­trot­tel wie David Came­ron, Boris John­son oder Nigel Fara­ge es tak­tisch inter­es­sant fan­den. Weil kar­rie­re­gei­le Sprech­ro­bo­ter wie The­re­sa May zu viel Macht beka­men. Weil das Volk sich auf­het­zen und ver­dum­men ließ.

Aber, lie­be bri­ti­sche Freun­de, noch ist es nicht zu spät. Ich habe nach­ge­dacht und einen Plan ent­wi­ckelt, der den Brexit im letz­ten Moment ver­hin­dern könn­te: Dazu wäre es not­wen­dig, die arro­gan­tes­ten und vom Inzest am stärks­ten gezeich­ne­ten zwei­hun­dert Brexi­te­ers auf die Kanal­in­seln Jer­sey und Guern­sey zu ver­ban­nen. Anschlie­ßend hält die Queen eine Rede, die mit dem Satz „Ich bin eine Euro­päe­rin“ endet. Hugh Grant, der noch vor The­re­sa Mays Ver­schif­fung das Amt des Pre­mier­mi­nis­ters über­nimmt, ernennt Kei­ra Knight­ley zur Außen­mi­nis­te­rin. Die Ver­hand­lun­gen mit den EU-Ver­tre­tern über eine Rück­nah­me des Aus­tritts­an­trags sind nach einer hal­ben Stun­de abge­schlos­sen. Jean-Clau­de Jun­cker pos­tet ein Sel­fie mit Kei­ra Knight­ley und schreibt, Euro­pa habe sich end­lich wie­der auf sei­ne Wer­te beson­nen. Dann gehen alle zusam­men in den Pub.

Klingt gut, oder?

07.04.2019 – Maxim Leo