Über dem Schreib­tisch mei­ner Frau Cathe­ri­ne hängt ein Foto von mir. Es wur­de im Früh­jahr 1997 wäh­rend eines Urlaubs auf der Insel La Gome­ra auf­ge­nom­men und zeigt mich in Bade­ho­se vor einem Was­ser­fall. Damals schaff­te ich noch fünf­zig Lie­ge­stüt­ze am Tag, wes­halb mei­ne Brust­mus­ku­la­tur, nun ja, als leicht defi­niert bezeich­net wer­den könn­te. Sogar Ansät­ze einer Bauch­mus­ku­la­tur sind auf dem Foto zu erkennen.

Wobei ich nicht aus­schlie­ßen kann, dass die­ses Foto mani­pu­liert ist. Ich erin­ne­re mich, zuwei­len im Ange­sicht des Foto­ap­pa­ra­tes den Bauch ein­ge­zo­gen und die Brust her­aus­ge­streckt zu haben. Zudem ist das Foto von der Sei­te auf­ge­nom­men, was zumin­dest bei mir zu durch­aus schmei­chel­haf­ten Effek­ten führt, zumal, wenn ich den der Kame­ra zuge­wand­ten Ober­arm an den Kör­per drü­cke und die Mus­keln leicht anspan­ne. Ich bin, so kann man das viel­leicht zusam­men­fas­sen, ein Natur-Pho­to­shop­per. Der Claas Relo­ti­us vom Badestrand.

Von den Töch­tern verdrängt

Es war eines der ers­ten Fotos, die Cathe­ri­ne von mir mach­te, und es war mir etwas pein­lich, als sie es über ihren Schreib­tisch häng­te. Zugleich erfüll­te mich aber auch ein gewis­ser Stolz. Sie sag­te, die Auf­nah­me erin­ne­re sie an einen James-Bond-Film. Was mir klar­mach­te, dass Cathe­ri­ne mich wirk­lich lie­ben muss, wie konn­te sie sonst so blind sein?

Seit ein paar Tagen ist das Foto nicht mehr da. Ich habe erst mal nichts gesagt, ich dach­te, ver­mut­lich hat Cathe­ri­ne nur einen neu­en Rah­men besorgt. Seit ges­tern weiß ich es bes­ser, denn ein ande­res Foto hängt nun an der Stel­le, an der ein­mal der James Bond vom Prenz­lau­er Berg zu sehen war.

Es han­delt sich um eine zuge­ge­ben gelun­ge­ne Auf­nah­me mei­ner Töch­ter vor dem frisch­ge­zupf­ten Rosen­beet mei­ner Frau. Die­se Kom­bi­na­ti­on aus lebens­be­ja­hen­der Jugend und gro­ßer flo­ra­ler Kunst ist, das muss man ein­räu­men, kaum zu schla­gen. Trotz­dem hin­ter­ließ die­ser Bil­der­wech­sel ein Gefühl der Trau­rig­keit und Ver­gäng­lich­keit in mir. Ich frag­te mei­ne Frau, was denn aus mei­nem Was­ser­fall-Foto gewor­den sei. Sie sag­te: „Ach das, na ja, wahr­schein­lich habe ich es in die Kis­te mit den alten Fotos gelegt.“ Es klang so, als könn­te sie nicht aus­schlie­ßen, dass mein Foto schon vor Tagen im Müll gelan­det ist.

„Man schaut doch gar nicht mehr hin“, sag­te mei­ne Frau, „wenn ein Bild zu lan­ge an der Wand hängt.“ Ich nick­te und frag­te mich, wie es mei­ner Frau wohl mit mir geht. Ich hän­ge ja, wenn ich das mal so aus­drü­cken darf, schon etwas län­ger in ihrem Leben her­um. Wür­de sie mich viel­leicht am liebs­ten auch in irgend­ei­ner Kis­te ablegen?

Die sie­ben Foto-Phasen

Okay, ich gebe zu, dass ich da jetzt mög­li­cher­wei­se ein wenig über­re­agie­re. Weil es doch ein­fach so ist, dass man foto­mä­ßig durch ver­schie­de­ne Lebens­pha­sen geht. Ich erken­ne das an mei­nen eige­nen Han­dy-Hin­ter­grund­bil­dern. Hät­te es in der Zeit, in der ich mei­ne Frau ken­nen­lern­te, bereits Han­dys gege­ben, wäre Cathe­ri­ne ver­mut­lich schon bald auf mei­nem Bild­schirm gelan­det. Damit hät­te ich doku­men­tiert: Hey Leu­te, I’m in love!

In der klas­si­schen Han­dy-Hin­ter­grund­bild-Kar­rie­re folgt auf das ers­te Lie­bes­fo­to irgend­wann das Hoch­zeits­fo­to. Spä­ter, wenn die Kin­der da sind, kommt Pha­se drei: das Fami­li­en­fo­to. Noch spä­ter, in Pha­se vier also, sind nur noch die Kin­der auf dem Bild­schirm. Das ist die Zeit, in der ich gera­de lebe, die mitt­le­ren Jah­re, in denen die schon fast erwach­se­nen Kin­der zu jugend­li­chen Reprä­sen­tan­ten der wel­ken­den Eltern wer­den. Pha­se fünf beginnt, wenn die Kin­der aus dem Haus sind, übli­cher­wei­se kom­men jetzt die Haus­tier-Fotos ins Spiel. Pha­se sechs: Das ers­te Enkel­kind ist da! Pha­se sie­ben: Der Ehe­part­ner stirbt. Nicht sel­ten kehrt nun das ers­te Lie­bes­fo­to als ewi­ge Erin­ne­rung zurück.

So betrach­tet ist es doch gar nicht schlecht, dass es mei­ne Kin­der sind, die über dem Schreib­tisch mei­ner Frau hängen.

10.02.2019 – Maxim Leo