Es war November, als mich eine Freundin fragte, ob ich ihr weihnachtliches Wohltätigkeitsprojekt unterstützen würde. Es ging um Kinder in einem Berliner Flüchtlingsheim. Ich fand, das war eine gute Sache und spendete Geld.
In den folgenden Wochen bekam ich dann weitere Spendenanfragen. Ich öffnete den Briefkasten und fast täglich lag Spendenpost zwischen den Zeitungen. Brot für die Welt. Plan International. SOS-Kinderdörfer. Ich finde, man kann Spendenbriefe nicht einfach wegwerfen. Deshalb lege ich die Spendenbriefe auf meinen Schreibtisch. Dort bleiben sie eine Weile liegen, bis meine Entscheidung gereift ist. Meist ist dann Weihnachten vorbei. Schade, denke ich und werfe die Briefe weg. So drücke ich mich vor der Spendenentscheidung.
Das moralische Dilemma
Jedes Jahr vor Weihnachten spüre ich ein moralisches Dilemma, denn gerne würde ich all die guten Dinge unterstützen, aber ich habe ein begrenztes Budget und muss mich entscheiden. Aber wie? Und für wen?
Nachdem ich für die Flüchtlingskinder in Berlin gespendet hatte, bekam ich plötzlich ein ungutes Gefühl. Gibt es nicht viele Kinder auf der Welt, denen es noch viel schlechter geht? In Afghanistan oder Uganda? Hätte ich nicht lieber für die SOS-Kinderdörfer spenden sollen?
Als ich noch darüber nachdachte, erreichte mich ein netter Leserbrief, der um Unterstützung warb für „herrenlose, unterversorgte Katzen“ in Brandenburg. In Form von Spenden für den örtlichen Katzenverein. Mir wurde auch angeboten, „Ehrenmitglied“ des Katzenvereins zu werden. Das fand ich schön, Ehrenmitglied! In ein paar Jahren könnte ich vielleicht sogar Ehrenpräsident werden. Außerdem: Ich mag Katzen und auch Brandenburg, und sollte man nicht für Dinge spenden, zu denen man einen echten emotionalen und regionalen Bezug hat?
Als ich noch darüber nachdachte, erreichte mich ein Brief der Deutschen Kriegsgräberfürsorge. Für sechs Euro kann ein Kriegsgrab ein Jahr lang gepflegt werden. Ich finde das gut und wichtig. Mein Großvater ist im Krieg gefallen. Und spenden nicht alle schon für Kinder oder Tiere? Muss man nicht auch mal an die Toten denken?
Post von Eckart von Hirschhausen
Als ich noch darüber nachgrübelte, erreichte mich eine E‑Mail von Eckart von Hirschhausen. Er bot an, mir seinen „Adventskalender auf Facebook“ zu schenken. „Alle 24 Türchen sind mit einem Witz gefüllt“. Da hatte ich Angst.
Alle Witze, schrieb Hirschhausen, stammen übrigens aus seiner CD „Kommt ein Kind zum Arzt …“, deren Erlöse der Stiftung „Humor hilft heilen“ zugutekommen, die sich für eine „heilsame Stimmung in Krankenhäusern“ einsetzt. Unter anderen durch „Clownsvisiten“.
Ich habe Clowns immer gehasst. Schon als Kind. Vor allem aber hasste ich jetzt Eckart von Hirschhausen, der mir in seiner als Spendenmail getarnten Werbung auch gleich seine „brandneue CD-Box im schönen Schuber“ als Weihnachtsgeschenk ans Herz legte.
Und ich dachte: Was bist du nur für ein schmieriger Witze-Wicht.
Ein Mahnmal des unfähigen Spenders
Als ich noch über Hirschhausen nachgrübelte, fiel mir wieder ein, dass ich vor einem Jahr einem Obdachlosen eine Büchse mit Kleingeld geben wollte. Der Obdachlose stand oft vor meiner Bankfiliale. Immer wenn ich die Büchse dabei hatte, war der Obdachlose aber nicht da. Ich versuchte es noch ein paar Mal, dann gab ich auf. Die Büchse steht heute bei mir herum wie ein Mahnmal des unfähigen Spenders.
Vor ein paar Tagen fiel mir dann ein Zeitungsartikel in die Hand. In einer Studie wurde herausgefunden, dass Frauen klüger spenden als Männer. Frauen teilen das Geld „gerecht und fair auf viele Bedürftige auf“. Das ist doch die Lösung, dachte ich begeistert. Meine Frau kann mit meinem Spenden-Geld jetzt tun, was sie für richtig hält. Unter einer Bedingung: keinen Cent für Eckart von Hirschhausen!
10.12.2017 – Jochen-Martin Gutsch