Ich gucke jetzt oft auf Youtube diese Handwerker-Videos. Wie man einen Beton-Couchtisch baut. Oder wie ein Wasserablauf in eine Terrasse eingelassen wird. Oder wie man am besten einen Wanddurchbruch plant. Mein derzeitiger Lieblingsfilm ist der, in dem ein rothaariger Australier einen beleuchteten Whirpool in seiner Küche errichtet. Wobei auch die anderthalbstündige Dokumentation eines brandenburgischen Freizeit-Maurers zur Komplexität des Kalkmörtel-Putzauftrages in feuchten Kellerräumen mir einige Freude und Erkenntnisse beschert hat.
Wenn ich diese Filme sehe, vergesse ich Zeit und Raum. Große, entscheidende Fragen wie die nach der Körnungsgröße des Sandes im Kalkmörtel oder, noch viel wichtiger, die der Aushärtungszeit in Abhängigkeit von Luftfeuchtigkeit und Außentemperatur, sickern in mich ein wie weicher Frühlingsregen in ein frisch gegrubbertes Tulpenbeet. Diese Handwerker-Videos entspannen mich so tief, dass ich zuweilen Probleme habe, mich nach stundenlanger Versenkung wieder aus meiner Mörtel-Meditation zu lösen.
In dem Buch „Sapiens“ erklärt der israelische Historiker Yuval Noah Harari, wie der Mensch im Laufe seiner zivilisatorischen Entwicklung bestimmte Instinkte und Fähigkeiten verkümmern ließ, weil er sie nicht mehr täglich benötigte. Es nutzt einem mittelalten Mann, der im Jahre 2019 in einer westeuropäischen Hauptstadt lebt nicht viel, grundsätzlich über die Fähigkeit zu verfügen, aus dem Dickdarm eines Säbelzahntigers einen Wasser-Vorratsschlauch zu basteln. Aber, so schreibt Harari, diese Fähigkeit ruht in uns, sie schlummert in unseren Muskelfasern, in den Außenarealen unserer Großhirnrinde. Sie wartet nur darauf, wieder abgerufen zu werden.
So erkläre ich mir meine Sehnsucht nach einem erfüllten Handwerker-Leben. Irgendwann besaßen meine fernen Vorfahren vermutlich eine gewisse Kalkmörtel-Kompetenz, sie wussten, wie man einen Feldstein behaut und wie ein ordentlicher Fenstersturz gemauert wird. Dieses Wissen, das nun vernachlässigt und missachtet in meinen Gen-Ketten herumgeistert, löst bei mir diese Euphorie aus, sobald ich jemanden einen Ziegelstein in ein Mörtelbett legen sehe.
Vor ein paar Wochen dachte ich: Ach komm, lebe deinen Traum! Aktiviere den Handwerker in dir! Verrichte deine erste Maurerarbeit! In unserem Garten gibt es einen alten Schuppen, auf dessen Wetterseite die Steine von Regen und Frost zerfressen sind. Ich trug die Mauer ab und begann anschließend, sie wieder neu zu errichten. Es war zufällig zwei Wochen vor dem großen Mauerfall-Jubiläum und meine Frau Catherine fragte, ob dieses Mauerbauen in uns Ostdeutschen irgendwie genetisch angelegt sei.
Aber ich ließ mich nicht beirren, schichtete Stein auf Stein, lernte mit der Fugenkelle umzugehen, lernte die richtige Mörtelkonsistenz anzumischen, lernte die alte Maurer-Regel: Drei Steine, ein Bier.
Leider wusste ich noch nicht so richtig, wie man lotrecht in die Höhe arbeitet. Auch war mir anfangs nicht klar, dass ich im Nachhinein nichts mehr korrigieren kann, weil der Mörtel so schnell hart wird. Meine Mauer hatte dann den einen oder anderen Schwung. Und auch die eine oder andere Delle. Und auch die eine oder andere Stufe. Im Grunde war es am Ende eher eine Pyramide, was man ja aber auch erst mal hinbekommen muss. Ich meine, wie wurden die Ägypter gefeiert, als sie ihre erste Pyramide gebaut hatten. Und ich schüttelte das einfach so aus dem Handgelenk.
Kurzum, als ich irgendwann fertig war, spürte ich einen großen Maurerstolz in mir. Ich hatte das Gefühl, etwas wirklich Bleibendes geschaffen zu haben. Wenn später meine Enkelkinder mal zufällig an der Wetterseite des Schuppens vorbeikommen, werden sie sagen: „Das war Opa Maxim, er konnte zwar nicht mauern, aber er hat es trotzdem getan. Weil es seine Bestimmung war.“