Letzte Woche bekam ich einen Brief vom „Haarwunschzentrum Berlin”. Dr. Ingo Veickel schrieb: „Lieber Herr Leo, Haarverlust ist kein Schicksal, lassen Sie sich unverbindlich und kostenlos bei uns beraten.” Ich kenne Dr. Ingo Veickel nicht und frage mich, wie er von mir und meinem Haarverlust erfahren hat. Vielleicht reden die Leute schon über mich. Sie sagen: „Hast du Leo gesehen? Sein Hinterkopf sieht aus wie ein faltiger Pavian-Arsch.”
Oder es hat mit dem Coffein-Shampoo zu tun, das ich vor ein paar Wochen im Internet gekauft habe. Ein Kollege sagte, es sei magisch. Bei mir hat es nur in den Augen gebrannt. Auf der Packung stand: „Die coffeinhaltige Wirkstoffkombination hält die Haarwurzel wach.” Das fand ich interessant. Heißt das, meine Haare werden nur deshalb dünner, weil die Haarwurzeln gerade schlafen?
Ich habe mich dann mal ein wenig informiert. Auf der Website des Haarwunschzentrums sieht man Fotos von gut aussehenden Krankenschwestern in figurbetonten Kitteln, die einen kahlköpfigen Mann mit Gummibürsten stimulieren. Es wirkt wie die Einstiegsszene eines Pornofilms: „Die Rückkehr des Glatzen-Rammlers“. Was mich am meisten verunsichert ist eine Aufnahme von Dr. Ingo Veickel, der eine Glatze hat. Ich meine, was soll man von so einem Haarmediziner halten? Das ist schlimmer als ein hinkender Orthopäde oder ein zahnloser Zahnarzt.
Auch die Behandlungsmethoden verunsichern mich. Es gibt zum Beispiel die PRP-Stammzellenbehandlung auf Basis von Eigenblut. Bei der Mesohair-Behandlung wird ein Vitamincocktail mit Druckluft unter die Kopfhaut gejagt. Spontan denke ich: Dann doch lieber ein Toupet.
Vor ein paar Tagen traf ich meinen Kumpel Oli, der sich vor einem halben Jahr in der Türkei einer Haartransplantation unterzogen hatte. Oli trug ein Kopftuch. Letzten Oktober hatte er drei Tage in einem grünen OP-Kittel in einer Privatklinik in Istanbul gelegen. Sie haben ihm fünftausend Haare vom Hinterkopf auf den Vorderkopf gepflanzt. Als er uns damals stolz sein frisch operiertes Haupt zeigte, sah er aus wie Niki Lauda kurz nach dem Unfall am Nürburgring. Hinten klafften verschorfte Furchen, vorne lag ein Narben-Acker. Aber er sagte, in spätestens zwei Wochen würden die Haare zu wachsen beginnen. Er hätte dann bald wieder einen wilden Pony, eine Mähne. Ich war sofort neidisch und beschloss, ebenfalls nach Istanbul zu fahren, wenn das bei Oli klappt.
„Und Oli?”, fragte ich, „wie ist es?” Oli setzte langsam sein Kopftuch ab. Da, wo die Haare eingepflanzt wurden, war in der Tat einiges passiert. Das Problem war nur, dass die neuen Haare wie frisch gesäte Grashalme nach oben standen. Oli sah aus wie der kleine Reporter aus Tim und Struppi. Ich überlegte, was ich Oli sagen könnte, um ihn irgendwie aufzumuntern, aber mir fiel nichts ein. Ich meine, er hat viertausend Euro dafür ausgegeben, wie ein deutsch-türkisches Grasmännchen auszusehen.
In der folgenden Nacht schlief ich unruhig. Ich träumte, ich hätte einen langen Zopf, den ich mehrmals um meinen Bauch wickeln konnte. Als ich morgens aufwachte, tastete ich meinen Kopf ab, spürte mein schütteres Haar und war auf einmal sehr erleichtert.