Am ers­ten Mon­tag des neu­en Jah­res habe ich mein Auto beer­digt. Ein schwar­zer Saab, Bau­jahr 1999, vori­ges Jahr­tau­send also. 18 Jah­re lang waren wir ein Paar, oder anders gesagt: Er ist die längs­te Bezie­hung mei­nes Lebens. Frau­en gin­gen, mein Saab blieb. Gekauft hat­te ich ihn bei einem tür­ki­schen Gebraucht­wa­gen­händ­ler in Beglei­tung des Auto­re­dak­teurs der Ber­li­ner Zei­tung. Als Sach­ver­stän­di­gen sozusagen.

Wenn ich den Auto­re­dak­teur in den ver­gan­ge­nen Jah­ren hin und wie­der mal sah, frag­te er stets, zuneh­mend ungläu­big: Hast du den Saab noch? Jetzt hol­te ich ein paar CDs, einen alten Schlaf­sack, eine unbe­nutz­te Warn­wes­te und den „Falk Stra­ßen­at­las 2011“ aus mei­nem Saab, schloss die Tür, strich noch mal über die schnee­be­deck­te Motor­hau­be und ging ins Büro von Herrn Pin­kow­ski, der eine Saab-Werk­statt in Rei­ni­cken­dorf betreibt.

„Wie jeehts Ihnen jetzt?“, frag­te Herr Pin­kow­ski, als er für ein paar Hun­dert Euro mein altes Auto kauf­te, um es auszuschlachten. 
„Ick mei­ne, emotional?“
„Okay“, sag­te ich.

„Man­che ver­kraf­ten ditt ja nich’, sag­te Herr Pin­kow­ski. „Ick hat­te mal ’ne Kun­din, die rief mich an, wei­nend, und schrie ins Tele­fon: „Der Dicke ist tot!“ Der Dicke?

„Ick dach­te erst, die meint ihren Mann. Aber war­um ruft sie dann bei mir an? Ein paar Tage spä­ter saß die Frau bei mir hier im Büro, so wie Sie jetzt. Aber janz in Schwarz! Wie uff’ner Beer­di­gung. Ditt Auto, der Dicke, war nich mehr zu retten.“

Schö­ne Geschich­te, dach­te ich. Und hät­te nun auch gern gebrüllt: Der Schwar­ze ist tot! Aber ich bin nicht der Typ dafür. Viel­leicht war ich auch ein­fach zu müde.

Seit Wochen schaue ich im Inter­net nach einem neu­en Auto. Ver­glei­che Prei­se von Gebraucht­wa­gen­händ­lern und goo­ge­le Begrif­fe wie „Lor­do­sen­stüt­ze“, „Anti-Schlupf­re­ge­lung“ und „adap­ti­ve Licht­ver­tei­lung“. Mein Saab hat­te einen CD-Play­er, einen Ziga­ret­ten­an­zün­der und einen Schmink­spie­gel an der Son­nen­blen­de des Bei­fah­rer­sit­zes, was heu­te aus gen­der­po­li­ti­schen Grün­den ver­mut­lich ver­bo­ten ist.

Auto­mo­bil­tech­nisch bin ich nie über das Jahr 1999 hin­aus­ge­kom­men. Schwie­rig­kei­ten berei­tet mir auch die „neue Rea­li­tät“ wie Olaf Scholz sagen wür­de. Alle Auto­häu­ser sind ja geschlos­sen, offi­zi­ell. Der Lock­down-Kauf ist qua­si kri­mi­nell. Was mich an einen Song von Wolf Bier­mann erin­nert: „Was ver­bo­ten ist, das macht uns gra­de scharf.“

Bei einem Ber­li­ner Auto­händ­ler stand ich auf dem Hof, das Büro durf­te ich nicht betre­ten, eine Pro­be­fahrt war auch nicht mög­lich, aber ich konn­te das Auto immer­hin sehen und mich rein­set­zen. Der Ver­käu­fer trug Mund­schutz, ich auch, und da ich Bril­len­trä­ger bin, beschlug sofort mei­ne Bril­le, als ich im geheiz­ten Auto saß. Ich war prak­tisch blind. Ich saß in einem alten Mer­ce­des, aber es hät­te auch ein alter Lada sein können.

Einen ande­ren Auto­händ­ler traf ich kon­spi­ra­tiv an einer Bran­den­bur­ger Tank­stel­le. Ich dach­te: Unter ähn­li­chen Umstän­den hat sich frü­her womög­lich ein Füh­rungs­of­fi­zier mit sei­nem IM getrof­fen. Wir stan­den im Schnee­re­gen und ich ver­such­te, mit zit­tern­den Hän­den durch die TÜV-Berich­te und Scheck­heft-Aus­dru­cke zu blät­tern. Was soll ich sagen? So wird der Auto­kauf zum Erleb­nis. Dann fuhr ich nach Leip­zig. Hier war der Ver­käu­fer locker drauf. Pro­be­fahrt? Kein Pro­blem. Und wenn die Bul­len kom­men? „Gas geben“, sag­te der Ver­käu­fer und zuck­te mit den Schultern.

Ich habe kei­ne Ahnung von Autos. Ich weiß, es gibt so ein Loch im Motor­raum, da kippt man die Schei­ben­wi­scher­flüs­sig­keit rein. Wenn mich die Ver­käu­fer jetzt fra­gen, was der Wagen „alles haben soll“, dann sage ich: Er soll fah­ren. Mög­lichst lan­ge. So wie der Schwar­ze, Gott hab ihn selig.

13.01.2021 – Jochen-Mar­tin Gutsch