In der Zeitung las ich kürzlich von der Online-Petition „Klare Kante gegen Automachos“. Engagierte Fahrradaktivistinnen haben diese Petition ins Leben gerufen, weil sie sich von männlichen Autofahrern „immer wieder“ beleidigt, angepöbelt und genötigt fühlen.
Zitat: „Jahrzehntelang hat die Politik den Automacho geschont und stillschweigend akzeptiert. Geprägt hat das den Typ Mann, der das Auto als Machtmaschine begreift, der die Straßen nicht mit anderen teilt. Erst recht nicht mit Radfahrerinnen.“
Als ich das las, war meine erster, ängstlicher Gedanke: Bin ich etwa auch ein Automacho? Mein Auto ist so ein altes Ding, ein rostiges Großväterchen auf vier Rädern, gebaut in Schweden, wo ja generell keine „Machtmaschinen“ herkommen, sondern nur Elche und Skilangläufer.
Fahrradfahrer vs. Autofahrer
Dennoch reagiere ich zuweilen sehr emotional während einer städtischen Autofahrt. Fluche, knurre, pöble, nenne jemanden einen Wichser oder Schlimmeres. Ich bin nicht stolz darauf. Aber ich tue es wirklich immer nur im Auto. Höchstens Lippenleser könnten meine Flüche auf die Straße und in die Ohren der Fahrradaktivistinnen tragen.
Wobei ich fast ausschließlich andere Autofahrer beschimpfe, keine Fahrradfahrer. Ich finde, man sollte beim Pöbeln immer hübsch in seiner Gewichtsklasse bleiben.
Fahrradmachos auf Machtmaschinen
Mein zweiter Gedanke beim Lesen der Petition war: Habe ich jemals einen „Automacho“ mit seiner „Machtmaschine“ im Verkehr angetroffen? Ja. Einmal sah ich das wutentbrannte Gesicht eines Autofahrers, das an meinem Fenster klebte, Fahrerseite.
Der fremde Autofahrer schrie irgendwas, er sah aus wie ein dicker Hund, der mit seinen Lefzen vier Kilo Speichel an meine Scheibe sprühte.
Warum diese Konfrontation zustande kam, habe ich vergessen. Sie ist schon lange her. Seitdem habe ich den Automacho kaum noch getroffen. Manchmal röhrt er in Brandenburg an mir vorbei. Er scheint aber, verkehrsevolutionsbedingt, eine eher aussterbende Art zu sein.
Fahrradfahren ist wunderschön
Gern und oft treffe ich dagegen heute den Fahrradmacho mit seiner „Machtmaschine“. Meist fahre ich ja Fahrrad. Das ist ein wunderschönes Verkehrsmittel, wenn nur die anderen Radfahrer nicht wären. Die Kampfradler, die Bummelmuttis, die Liegeradfahrer, die Vintage-Rad-Affen, die Nebeneinander-Radfahrer, die Berlin-on-Bike-Touristen-Radhorden.
Den Fahrradmacho erkennt man meist an seiner Ausstattung: vogelhäuschenartiger Fahrradhelm, Rad mit 4 000 Gängen, reflektierende Fahrradweste, Hosenbeine hochgekrempelt. So wie der aufgeregte Autofahrer eine Neigung zum Hupen verspürt, kündigt sich der Radmacho durch heiteres Fahrradgeklingel an. Weicht man nicht schnell genug zu Seite, ruft er aufmunternd: Hau ab, Du Fotze!
Die Widersprüche des Fahrradmachos
Ich muss dann immer ein wenig schmunzeln, weil die gelebte Aggression und das biedere Äußere beim Fahrradmacho einen so hübschen Widerspruch bilden. Ein Mann mit einer Fahrradklingel, einer putzigen Warnweste und ohne PS – in Sachen Style könnte der Radmacho noch viel vom Automacho lernen!
Mein dritter Gedanke beim Lesen der Petition war: Es gibt keine Verkehrsteilnehmergruppierung, die sich so gerne beschwert, sich ständig diskriminiert fühlt und so gerne fordert wie die Radfahrer. Und die gleichzeitig so rücksichtslos gegenüber anderen ist und kaum Lust verspürt, sich an Verkehrsregeln zu halten.
Bornierte Gedanken unter Fahrradhelmen
Das tue ich auf dem Fahrrad auch selten. Ich bin kein Stück besser. Der Reiz, störende Dinge wie Ampeln nicht zu beachten, ist einfach zu groß. Gleichzeitig frage ich mich aber, wie es möglich ist, dass unter so vielen Fahrradhelmen der bornierte Gedanke wuchert, dass der Radfahrer der beste, dufteste, nachhaltigste Verkehrsteilnehmer ist – besser als alle anderen.
Vor allem besser als der verhasste Autofahrerarsch.
Wie ich mir die Hölle vorstelle? Dort sitzen fünfzig Fahrradaktivistinnen mit Reflektorwesten im Kreis und arbeiten mal wieder an einer Petition.
27.08.2017 – Jochen-Martin Gutsch