In unse­rem Wochen­end­haus arbei­ten gera­de zwei Mau­rer. Sie repa­rie­ren eine Feld­stein­wand, die mit den Jah­ren bröck­lig gewor­den ist, weil der Regen die Fugen aus­wusch, der Frost den Gra­nit spal­te­te, wil­de Bie­nen es sich in den Löchern bequem mach­ten und gan­ze Schwal­ben­fa­mi­li­en und Mäu­se­dy­nas­tien ihre Nes­ter und Gän­ge in den unend­li­chen Kalk­mör­tel-Labyrin­ten ein­rich­te­ten. Es ist eine herr­li­che Mau­er, aus run­den Stei­nen, groß wie Kin­der­köp­fe, die irgend­wann mal im ewi­gen Eis aus dem fer­nen Schwe­den nach Bran­den­burg gereist sind.

Ich bin (das haben sie, lie­be Leser viel­leicht schon bemerkt) ein biss­chen ver­liebt in die­se Mau­er. Ich fin­de es magisch, dass die­se Mil­lio­nen Jah­re alten Stei­ne in die­sem mehr als zwei­hun­dert Jah­re alten Haus ste­cken, das ich (wenn ich Glück habe) so um die vier­zig Jah­re bewoh­nen wer­de. Die­se Mau­er war schon da, als nicht mal mei­ne Groß­el­tern gebo­ren waren. Und sie wird noch da ste­hen, wenn ich schon längst nicht mehr ste­hen kann. Das fin­de ich beein­dru­ckend, das berührt mich, und davon erzähl­te ich den Mau­rern wäh­rend eines klei­nen Schwat­zes, wor­auf­hin mich die bei­den ansa­hen wie einen armen Irren. Ich sag­te : « Das ist doch für sie bestimmt auch ganz toll, in so einem alten Haus zu arbei­ten, oder ? » Der jün­ge­re Mau­rer sag­te : « Nö ». Der älte­re Mau­rer hat­te gar nicht zugehört.

Ich dach­te, na gut, viel­leicht soll­te ich es mit ein paar Fach­sim­pe­lei­en ver­su­chen. Ich selbst habe näm­lich letz­tes Jahr auch mal an der alten Mau­er gear­bei­tet, weil ich ver­mu­te­te, dass ganz allei­ne hin­zu­krie­gen. Es mach­te auch gro­ßen Spaß, ich hat­te das Gefühl, mei­ne Sache nicht ganz so schlecht zu machen, bis mei­ne Frau Cathe­ri­ne mir riet, doch bes­ser Pro­fis ranzulassen.

Das ist übri­gens eine der weni­gen Sachen, die ich an mei­ner Frau nicht ganz so per­fekt fin­de : die­se ver­damm­te Ehr­lich­keit. Sie hat glau­be ich immer noch nicht ver­stan­den, dass Män­ner in den mitt­le­ren Jah­ren ja nun wirk­lich alles mög­li­che gebrau­chen kön­nen, aber doch um Got­tes Wil­len nicht die Wahr­heit ! Wir brau­chen dicke, glän­zen­de Lügen, an die wir uns kuscheln kön­nen, wie an ein wei­ches Sofa­kis­sen. Gera­de im Novem­ber ist das eine ziem­lich wich­ti­ge Sache.

Aber zurück zu den Mau­rern. Ich sag­te : « Neh­men sie auch den hydrau­li­schen Kalk, der etwas län­ger zum Abbin­den braucht, aber dafür in der Fuge elas­tisch bleibt ? » Der älte­re Mau­rer schien über mei­ne Wor­te nach­zu­den­ken, konn­te sich aber offen­sicht­lich zu kei­ner Ant­wort durch­rin­gen. Der jün­ge­re Mau­rer ging Stei­ne holen.

Trotz­dem gab ich nicht auf, weil ich es wich­tig fand, den bei­den mein Inter­es­se zu bekun­den. Sie soll­ten mich nicht für einen von die­sen bor­nier­ten Ber­li­nern hal­ten, die kei­ne Ahnung vom Land­le­ben haben. Die zu unge­schickt sind, um selbst eine Mau­rer­kel­le zu hal­ten. Die mei­nen, sich mit dem in der Stadt ver­dien­ten Geld hier ein­fach alles kau­fen zu kön­nen, ein­schließ­lich des Wohl­wol­lens ihrer Nach­barn. Ich woll­te die­sen ehr­li­chen Arbeits­leu­ten als einer der ihren gegen­über­tre­ten. Von Mau­rer zu Mau­rer sozu­sa­gen. Wie soll man sonst die Gesell­schaft zusam­men­hal­ten, die gera­de zer­brö­selt wie mei­ne alte Feldsteinmauer ?

Ich sag­te : « Mei­ne Güte, was haben sie für ein Glück, so einen tol­len Beruf aus­üben zu dür­fen. Sie sehen jeden Tag, was sie geschaf­fen haben. Und sie sind den Men­schen von Nut­zen. Nicht so wie ich, den eigent­lich nie­mand braucht. «  Ich war ein biss­chen stolz auf mei­ne demü­ti­gen Wor­te und hat­te viel­leicht auch auf einen klit­ze­klei­nen Wie­der­spruch gehofft. Aber der älte­re Mau­rer nick­te nur stumm. Der jün­ge­re Mau­rer frag­te, ob er noch einen Kaf­fee haben könne.

Ich lehn­te mei­nen Kopf an die alte Mau­er, spür­te die Stei­ne, die mir beru­hi­gend die Stirn kühl­ten und hielt ein­fach die Klap­pe. Was ver­mut­lich die bes­te Idee war, die ich an die­sem gan­zen Tage hatte

10.11.2020 – Maxim Leo