Seit der Wahl dis­ku­tie­ren vie­le Leu­te dar­über, ob man noch nach Use­dom fah­ren dür­fe. Dort haben vie­le Men­schen die AfD gewählt. Auf Face­book las ich von einer „Rei­se­war­nung für Use­dom“. Eini­ge mei­ner Face­book-Freun­de haben sie geteilt und mit empör­ten Kom­men­ta­ren ver­se­hen: Ich fah­re da nicht mehr hin! Ich möch­te mit die­sen Leu­ten nichts zu tun haben! Ein befreun­de­ter Jour­na­list hat gleich sei­nen Herbst­ur­laub auf Use­dom stor­niert. Aus Pro­test. „Use­dom sieht mich so schnell nicht wie­der“, schreibt er.

Mich hat das ver­wun­dert. Anschei­nend läuft gera­de der gro­ße Use­dom-Boy­kott. Deut­sche, fahrt nicht nach Usedom!

Ich fah­re ja ger­ne nach Use­dom. Die Land­schaft dort ist knar­zig und knur­rig. Es gibt Sturm- und Sil­ber­mö­wen und, was ich beson­ders schät­ze, kein Wat­ten­meer, durch das man mit gel­ben Gum­mi­stie­feln lat­schen muss. Vie­le Orte auf Use­dom hei­ßen Herings­dorf, Brat­he­rings­dorf und Bis­marck­he­rings­dorf. Nir­gend­wo in Deutsch­land, sagt der Deut­sche Wet­ter­dienst, ist es so son­nig wie auf Use­dom. Die Use­do­mer sind des­halb alle hübsch braun.

Den schöns­ten Use­dom-Kom­men­tar fand ich vor ein paar Tagen auf Face­book: „Die Ein­hei­mi­schen erschei­nen mir wenig welt­of­fen und an Aus­tausch nicht inter­es­siert!“ Genau des­halb bin ich ger­ne dort. Die Leu­te reden wenig. Man­che schwei­gen mona­te­lang. Nie­mand will sich aus­tau­schen. Ruhe zieht durch mein Gemüt.

Ande­re Leu­te emp­feh­len gera­de jetzt nach Use­dom zu fah­ren. „Damit die Leu­te dort ler­nen müs­sen, sich ande­ren gegen­über zu öff­nen.“ Das ist sozu­sa­gen der reform-päd­ago­gi­sche Ansatz. Wan­del durch Annä­he­rung, wür­de Wil­ly Brandt sagen.

Ich weiß gar nicht, was ich unan­ge­neh­mer fin­de: Die Wahl­er­geb­nis­se. Oder die Reak­tio­nen auf die Wahl­er­geb­nis­se. Die­se AfD-Hys­te­rie. Die­ses hoch­nä­si­ge Ange­ekelt­sein bei Leu­ten, die glau­ben, dass sie poli­tisch irgend­wie wert­voll han­deln, wenn sie statt zum Well­ness-Urlaub nach Use­dom nun zum Well­ness-Urlaub in die Tos­ka­na fah­ren. Die­se selbst­ge­rech­te Her­ab­las­sung, mit der man von den Usedum­men spricht und von Schreck-Pomm. Man will poli­tisch ja gar nichts ver­än­dern. Viel zu anstren­gend, und der Osten ist sowie­so braun und ver­lo­ren. Man will sich nur gegen­sei­tig auf die Schul­tern klop­fen. Und zei­gen, wie eli­tär und welt­of­fen man doch ist und natür­lich nichts gemein hat mit den Ver­lie­rern aus Use­doof. In ihrem Klein-Geist sind sich AfD-Wäh­ler und Use­dom-Boy­kot­tie­rer dabei erstaun­lich nahe: Bei­de möch­ten nicht gestört wer­den. Bei­de haben Angst vor dem Frem­den: Die einen vor Flücht­lin­gen. Die ande­ren vor den halb­wil­den Demo­kra­tie-Azu­bis aus der Zone.

Darf man noch ins Trump-Coun­try reisen?

Ich fin­de auch: Wenn man Use­dom boy­kot­tiert, dann doch bit­te rich­tig. Gut wäre es, wenn man Use­dom von den Olym­pi­schen Spie­len aus­schließt. Fische, die vor Use­dom gefischt wer­den, bekom­men im Restau­rant in Ham­burg oder Ber­lin-Mit­te einen Auf­kle­ber auf die Schup­pen: Das ist eine Use­do­mer Nazi-Flun­der! Hät­te ich eine Frau aus Use­dom, wür­de ich mich tren­nen oder sie in der Ost­see ver­klap­pen. Kon­do­me und Sex­spiel­zeug soll­te man nicht mehr in den Shops von Bea­te Uhse­dom kaufen.

Das Pro­blem am Boy­kot­tie­ren ist, dass die Welt so klein wird. Im Win­ter war ich immer ger­ne in Öster­reich zum Ski­fah­ren. Da fah­re ich nicht mehr hin. Wegen der FPÖ. Süd­frank­reich ist wun­der­schön. Aber dort war der Front Natio­nal erfolg­reich bei den letz­ten Wah­len. Viel­leicht fah­ren wir jetzt in die USA. Aber darf man noch ins Trump-Coun­try rei­sen? Nach Mos­kau will ich ja mal wie­der. Aber Russ­land geht gar nicht mehr, poli­tisch. Polen, Ungarn auch nicht. Skan­di­na­vi­en rückt nach rechts. Die Bri­ten sind Anti-Euro­pä­er. Bel­gi­en ist vol­ler Ter­ro­ris­ten. Aber wer will schon nach Belgien?

Ich muss wohl zu Hau­se blei­ben. In Ber­lin. Bald wird gewählt. Ver­mut­lich, der Herr soll’s ver­hin­dern, holt die AfD vie­le Stim­men. Wird dann Ber­lin boy­kot­tiert? Kom­men weni­ger Tou­ris­ten? Ich fin­de, jeder Boy­kott hat auch sei­ne guten Seiten.

11.09.2016 – Jochen-Mar­tin Gutsch