In der Zeitung las ich, dass der „Polizeipräsident von Berlin“ abgeschafft wird. Also: Nicht das Amt, sondern die Bezeichnung, die aus dem Jahre 1809 stammt. Künftig heißt es nur noch: „Polizei Berlin“. Geschlechtsneutral soll die neue Bezeichnung sein, und man hätte nun „Polizeipräsidierende von Berlin“ oder „Polizeipräsident*Innen von Berlin“ wählen können, wovon man aber absah. Sprachästhetisch ist die Berliner Polizei viel besser als ihr Ruf.
Trotzdem wird mir der Polizeipräsident ein bisschen fehlen. Seit ich ein Auto fahre, bekam ich regelmäßig Post vom „Präsi“. Man könnte sagen: Wir pflegten eine fast 30-jährige Brieffreundschaft. Wobei nur er schrieb, und ich ihm anschließend Geld auf sein Konto überwies. Die Briefe des Präsi waren nie freundlich und begannen stets mit: „Ihnen wird vorgeworfen …“.
In den vergangenen Jahren kamen dann immer mehr Briefe. Ich wohne in Prenzlauer Berg, einer Gegend, in der es üblich ist, dass nach einer Straßenbaumaßnahme viele Parkplätze wie von Geisterhand verschwinden. Im Sinne der „Verkehrswende“. Verkehrspolitisch gilt es als progressiv, Parkplätze abzubauen, auch wenn immer mehr Menschen ein Auto besitzen. Zuweilen musste ich nun kreative Parkentscheidungen treffen. Daraufhin schrieb mir der Präsi sofort wieder Briefe.
Ich will ehrlich sein: Es gab Momente, da habe ich den Präsi aufrichtig und aus ganzem Herzen gehasst.
Meine Parkplatzsuche wurde immer großflächiger. Manchmal parkte ich im Wedding, vergaß dann aber, dass ich im Wedding geparkt hatte. Oder sonst irgendwo geparkt hatte. Es ist nicht schön, ein Mann zu sein, der nicht weiß, wo sein Auto steht. Ein Parkplatzvergesser.
„Du musst doch wenigstens ungefähr wissen, wo der Wagen steht“, sagte meine Frau und schaute mich an wie einen frühvergreisten Trottel. Deshalb begann ich Fotos zu machen. Parkplatzfotos. Heute ist mein ganzes Handy voll davon. Sterbe ich plötzlich eines unnatürlichen Todes und die Polizei untersucht mein Handy, dann werden die Beamten denken: Vielleicht mochte er seine Frau. Sein größte Liebe aber – das war sein parkendes Auto.
Die Parkplatzfotos halfen leider auch nicht immer, weil die Berliner Straßenzüge oft sehr ähnlich aussehen. Mein Frau sagte: Aber du hast doch ein Foto! Ich sagte: Ja, aber ich erkenne die verdammte Straße nicht! Dann hielt sie mich für einen noch größeren Trottel.
Vor einigen Wochen wollte ich aufs Land fahren. Ich nahm die Katze mit. Ich wusste: Mein Auto steht gleich vor dem Haus. Dort stand es dann aber gar nicht. Ich ging nun mit der Katze, sie im Katzenkorb liegend, suchend durch die Straßen. Die Katze maunzte kläglich. Passanten schauten mich an wie einen Tierquäler. Ich schwitzte, fluchte, irrte umher. Die Katze maunzte. Ich war erschöpft, von dunkler Schwermut umweht. Die Katze maunzte weiter. Wir liefen Richtung Wedding. Oder Richtung Ende der Welt?
Plötzlich spürte ich eine tiefe, alles umfassende Sehnsucht aufsteigen: nach einer Garage.
Ich finde, der Satz: „Ich habe eine Garage“ passt eher nach Zehlendorf oder Brandenburg. Zudem ist mein Auto zwanzig Jahre alt und sieht auch so aus.
Aber dann traf ich vor ein paar Tagen einen freundlichen Mann, der mir einen Schlüssel in die Hand drückte: für meine Garage. Am liebsten hätte ich den Mann, der die Gestalt eines Engels hatte, umarmt. Vor Glück und Erleichterung.
Da es auf dem Gelände viele Garagen gibt, habe ich – zur Orientierung und als Abschiedsgeste an meinen alten Brieffreund – natürlich erst mal ein Foto gemacht.
Der Präsi ist tot. Lang lebe der Präsi!
03.11.2019 – Jochen-Martin Gutsch