Eine Freundin ist politisch aktiv. Ich mag diese Freundin sehr, und wenn sie jemals für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidiert, werde ich sie wählen. Die Freundin fragte, ob ich mithelfen könnte, Wahlplakate zu kleben. Aber ich war schon im Urlaub. Das hat mich vor einem freundschaftlich-politischen Konflikt bewahrt. Ich finde Wahlplakate Quatsch.
In der Zeitung las ich, dass in Berlin 224 Wahlplakate zerstört oder gestohlen wurden. Meist Plakate der AfD und der CDU. Ich verstehe nicht, warum man Wahlplakate stiehlt. Lieber sollte man doch Autos oder Schmuck stehlen. Ich meine, was will man denn mit einem Wahlplakat der CDU? Zu Hause in die Wohnung hängen?
Auf einem der CDU-Plakate sieht man den Kopf von Frank Henkel. Auf den Schultern sitzt Henkels Sohn in einem rosa Poloshirt, womit klar ist, dass Little Henkel später Jura oder BWL studiert und Mitglied im Golfclub wird. Frank Henkel ist sehr empört, dass man seine Wahlplakate klaut. Ein Anschlag auf die Demokratie, sagt er. Auf die freie Meinungsäußerung. Echt? Beim letzten Wahlkampf warb Henkel noch mit dem Slogan: „Frank Henkel. 100 Probleme.“ Darauf hatte natürlich niemand Bock.
Auf dem aktuellen Plakat steht nur noch: „Frank Henkel für Berlin“. Das heißt, es ist vollkommen ohne Inhalt. Ohne die klitzekleinste Meinungsäußerung. Genauso wie das Plakat der SPD. Bürgermeister Müller, dessen Vornamen ich immer vergesse, fährt Rolltreppe. Eine Frau mit Kopftuch fährt auch Rolltreppe. Zusammengefasst: Zwei Menschen fahren Rolltreppe. „Müller, Berlin“, steht unter dem Plakat.
Es klingt wie eine unvollständige Postadresse, die ein mauliger Rentner auf eine Postkarte gekritzelt hat. Ich habe lange über die Botschaft gegrübelt, aber ich kam nicht drauf. Außer: Rolltreppe fahren macht Spaß. Auch mit Kopftuch! Berliner, fahrt mehr Rolltreppe! Wer solche Plakate macht, darf sich nicht wundern, wenn sie zerstört werden.
Öde Reime sind am schlimmsten
Unheimlich gerne würde ich die Plakate der Grünen nachhaltig kompostieren. „Steuern nicht verfeuern“ und „Freilandhaltung für Großstadtmenschen“ – noch schlimmer als kein Inhalt sind öde Reime und Wortspiele. Bei den Grünen gibt es eine Reimabteilung im Parteivorstand. Dort werden die Reime in monatelanger politischer Reimarbeit zusammengereimt.
Ungern möchte ich mir auch vorstellen wie eine Freilandhaltung für Großstadtmenschen aussehen könnte. Genauso ungern wie ich täglich den Kopf von Oliver Waack-Jürgensen von den Piraten sehe, der mich fragt: „Kiffst du noch oder genießt du schon?“ Lieber Oliver Waack-Jürgensen, warum soll ich jemanden wählen, der mir dämliche Fragen im Ikea-Sound stellt? Mach, was du willst. Kiffe. Genieße. Aber häng’ nicht vor meiner Haustür rum.
Schlichte Botschaften
Klar, ich bin ungerecht. Wahlplakate sind schlicht. Das ist ihr Wesen. Sie überbringen für die Parteien die Botschaft: Hallo Leute, wir sind da. Vergesst uns nicht. Aber man schließt als Wähler ja doch aus der Qualität von Wahlplakaten auf die Qualität der Politiker. Ein Slogan wie „Kleingärten schützen. Können nur wir“ (CDU) ist da nicht hilfreich.
Die FDP wirbt mit: „Hey Gestern, wir können ja Freunde bleiben“. Sicher. Auch mit dem Vorgestern und dem Vorvorgestern kann man befreundet bleiben. Jeder hat die Freunde, die er verdient, liebe FDP.
Neutral und überparteilich
Vielleicht wähle ich die „Partei für Gesundheitsforschung“. Sie wirbt auf Plakaten mit dem Slogan: „Krebs? Alzheimer? Herzinfarkt? Nein, Danke!“. Richtig. Wer braucht das schon. Wie viel Geld könnte man wohl sparen, wenn man auf die ganzen scheußlichen Wahlplakate verzichtet? Ich weiß es nicht. Aber für die eine oder andere Schulsanierung dürfte es reichen.
Daher möchte ich Folgendes vorschlagen: Alle Parteien einigen sich auf ein gemeinsames Wahlplakat. Mit einem Slogan, der neutral und überparteilich ist, und die Wähler einfach nur daran erinnert, dass bald Wahlen stattfinden. Dieser Slogan könnte lauten: Wählt die Kandidaten der Nationalen Front! Muss aber nicht. Es kann auch irgendwas in Reimform sein. Oder mit Rolltreppen.
14.08.2016 – Jochen-Martin Gutsch