Fliegt die deut­sche Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft früh aus ei­nem gro­ßen Tur­nier, beginnt ver­lässlich ein gro­ßes Kla­gen in Deutsch­land. Es wird nach einem Schul­di­gen gesucht. Dies­mal traf es Oli­ver Bierhoff.

Wenn ich es rich­tig ver­stan­den habe, wird ihm unter ande­rem vor­ge­wor­fen, bei der Quar­tier­fra­ge ver­sagt zu haben. Bei der WM 2018 sei das Mann­schafts­ho­tel im Süden von Mos­kau zu zen­tral gewe­sen. Zu viel Stadt, zu viel Unru­he. Jogi Löw woll­te lie­ber ans Schwar­ze Meer. In Katar, so las ich in den Zei­tun­gen, sei die Hotel­an­la­ge nun aber zu dezen­tral gewe­sen. Zu viel Ruhe. Das habe die Mann­schaft brä­sig gemacht. Am Ende fehl­te das »Dre­cki­ge«, ande­re Mann­schaf­ten hät­ten mehr »gebrannt«. Hotel­mä­ßig ist der deut­sche Fuß­ball extrem sensibel.

Das Schö­ne ist jetzt die Stil­le. In der Fuß­ball­knei­pe, in die ich manch­mal gehe, ist es leer gewor­den. Gian­ni Infan­ti­no, der Fifa-Boss, hat von der »bes­ten WM aller Zei­ten« gespro­chen. Ich fin­de, er hat völ­lig recht. Die­se WM ist wun­der­bar ent­spannt. Nir­gend­wo »Schlaaand!«-Gebrülle, kei­ne Fan­mei­le, kein Schwarz-Rot-Gold-Geschmin­ke, kei­ne Deutsch­land­gir­lan­den an den Auto­spie­geln – all die­se Kar­ne­vals­scheuß­lich­kei­ten, die mit der WM 2006 zum All­ge­mein­gut wur­den. Fast ist es wie­der so wie in den Acht­zi­ger- und Neunziger­jahren, als der Fuß­ball vor allem ein Sport für Prolls und Nerds war.

Football’s coming home.

Lei­der ist es in der Fuß­ball­knei­pe immer zugig und kalt. Ich sit­ze in mei­ner Win­ter­ja­cke da und trin­ke Grog. Auch in den Restau­rants, in denen ich zuletzt war, aß ich frös­telnd und wärm­te mei­ne Hän­de am Ker­zen­licht. Die Heiz­kos­ten sind hoch, die Wir­te spa­ren. Ich ver­ste­he das. Es irri­tiert mich nur, dass ich als Ein­zi­ger zu frie­ren scheine.

In mei­ner Stra­ße nut­zen vie­le Restau­rants jetzt auch ihre Außen­be­rei­che auf dem Geh­weg. Die Außen­be­rei­che sind mit einer dün­nen Folie über­spannt, der Schnee­re­gen kommt nicht durch, das ist die gute Nach­richt. Manch­mal glot­ze ich neu­gie­rig durch eine Folie, weil ich mir nicht vor­stel­len kann, dass sich jemand in so ein unbe­heiz­tes Gewächs­haus setzt, um dort zu dinie­ren. Aber es ist immer voll. Die Men­schen sit­zen mit Pudel­müt­ze »drau­ßen« und löf­feln fröh­lich ihre teu­ren Menüs.

Vor ein paar Tagen besuch­te ich einen Freund, der mir erzähl­te, dass er immer noch nicht heizt. Es war der 2. Advent. Im Arbeits­zim­mer sei­en es 15 Grad, sag­te der Freund. Er klang stolz. Dann zogen wir uns in sei­ne Küche zurück, weil es dort wär­mer sei. Der Freund ist total erfolg­reich, Hei­zen ist für ihn kei­ne Geld­fra­ge. Ich dach­te: Viel­leicht ist Frie­ren – nach dem Gen­dern, dem Bio­ein­kauf und dem WM-Boy­kott – jetzt das neue Distink­ti­ons­merk­mal des städ­ti­schen Bürgertums.

Manch­mal füh­le ich mich bereits wie der letz­te Hei­zer vom Prenz­lau­er Berg. In der »Ber­li­ner Zei­tung« las ich ein Inter­view mit der Schrift­stel­le­rin Julia Franck. Sie sag­te: »Wenn ich am Schreib­tisch frie­re, stel­le ich mir mei­ne kup­fer­ne Wärm­fla­sche unter die Füße, wick­le mich in eine Woll­de­cke und behal­te einen küh­len und kla­ren Kopf.«

Das hat mich an Thi­lo Sar­ra­zin erin­nert. Der sag­te vor 14 Jah­ren: »Wenn die Ener­gie­kos­ten so hoch sind wie die Mie­ten, wer­den sich die Men­schen über­le­gen, ob sie mit einem dicken Pull­over nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zim­mer­tem­pe­ra­tur ver­nünf­tig leben kön­nen.« Damals gab es einen Auf­schrei. Sar­ra­zin wur­de Gefühls­käl­te vor­ge­wor­fen. Heu­te ist es progressiv.

Ich kann Ver­zicht nicht aus­ste­hen. Obwohl, das stimmt ja gar nicht. Ich kann es nicht aus­ste­hen, wenn mir Ver­zicht als etwas Begeh­rens­wer­tes ver­kauft wird. Als eine Sache, die mein Leben bes­ser macht. Wenn ich nicht hei­ze, füh­le ich mich nicht bes­ser. Ich den­ke auch nicht kamp­fes­stolz: Grrrrr, Putin! 15 Grad! Nimm das, Mother­fu­cker!! Ich den­ke: Ver­dammt, ist das kalt hier.

Irgend­wo habe ich jetzt das dum­me Wort »Heiz­scham« gele­sen. Heiz­scham haben nur Leu­te, die es sich leis­ten kön­nen. Ver­zich­ten zu wol­len, zur eige­nen Erbau­ung, ist nicht das Glei­che wie ver­zich­ten zu müs­sen. Für einen alter­na­tiv­lo­sen Ver­zicht, weil man sich eine war­me Woh­nung nicht mehr leis­ten kann, gibt es ein ande­res deut­sches Wort: Not.

In Zim­mern, in denen ich mich nicht auf­hal­te, bleibt die Hei­zung aus. Das war schon immer so. Aber ich hül­le mich jetzt nicht in Decken oder Schafs­fel­le oder nut­ze kup­fer­ne Wärm­fla­schen wie anno 1910 oder stop­pe die Zeit beim Warm­du­schen. Zwei Minu­ten! Das hat so etwas unan­ge­nehm Zackig-Sport­leh­rer­haf­tes und erin­nert mich an Leu­te, die auch am Eis­ba­den Freu­de emp­fin­den. Ich weiß nicht, ob es etwas Deut­sches ist. Das sagt man ja immer schnell, dass etwas typisch deutsch sei. Aber ich kann mir wirk­lich kein ande­res Volk vor­stel­len, das, im gro­ßen Wohl­stand lebend, sich so gern selbst kas­teit. Ver­zicht als mora­li­scher Genuss? Ich wer­de es nie kapieren.

Der ein­zi­ge Raum, in dem bei mir immer die Hei­zung läuft, ist das Bad. Sofort ver­spü­re ich ein Fünk­chen Heiz­scham. Im Bad gibt es eine Fuß­bo­den­hei­zung und auf den war­men Flie­sen liegt, lang aus­ge­streckt und woh­lig schnar­chend, Elfrie­de Jeli­nek, mei­ne Kat­ze. Sie ver­bringt dort den gan­zen Win­ter. In der Kat­zen­sauna. Was soll ich ihr sagen? Der Krieg, Putin, die Ener­gie­kri­se, die Kli­ma­kri­se? Auch du musst ver­zich­ten, Elfrie­de Jelinek!

Ich brin­ge es ein­fach nicht übers Herz.

 

Von Jochen Gutsch